Montag, 13. Oktober 2008

Die Finanzkrise - ein „neoliberales“ Desaster?

Jochen Röpke

13. Oktober 2008

Die Finanzkrise hat auch seine gute Seite. Sie weckt die Instinkte jener, die etwas gegen den freien Markt, Wettbewerb, Unternehmertum, „Neoliberalismus“ haben. In allen Teilsystemen der Gesellschaft: Politik, Medien, Religion, Wissenschaft. Auch der Sport läuft im Bashing mit. Wer die Krisenliteratur auch nur einigermaßen gelesen hat und liberale Autoren wie die Österreicher (Hayek, Mises) und Schumpeter kennt, weiß, daß Solches, was wir jetzt lesen und sehen dürfen, das instinkthaft-pawlowsche Reagieren von Menschen ist, die aus welchen Gründen auch immer, andere Unterscheidungen (distinctions
[1]) treffen, also eine andere Welt konstruieren. Kein Problem. Auch der Autor ist ein Pawlow-Mensch, wie sein Beitrag zeigt.
Die Krise auf „Marktversagen“ im liberal-klassischen oder schumpeterschen Sinn, nicht im neoklassisch-neoliberalen Sinn, zurückzuführen, ist platt gesagt Unsinn. Wissenschaftler wie Hayek haben in extenso dargelegt, wie so etwas passieren kann, wenn die für Geldpolitik und Aufsicht zuständigen monetären und politischen Machthaber und Instanzen verantwortungslos handeln, kognitiv erodieren, emotional durchdrehen – was sie taten und teilweise noch tun. Hayek hat deswegen auf Konkurrenzgeld gesetzt, um der Gefahr einer monopolistischen Geldmaschinerie zu entgehen. Schumpeter hat in seinen Konjunkturzyklen, gerade neu aufgelegt, ausführlich die Mechanismen der Entstehung von Depressionen klargelegt. Seine Theorie ist weitgehend auch unsere. Wie Aufschwung- und Boomphasen kriminelle Energie erzeugen, ist von Schumpeter ausführlich dargelegt. Wir sehen das eindrücklich in den U$A, insbesondere im Finanzmarkt. Auch Aufsichtsbehörden wie die SEC (Security Exchange Commission) scheinen von kriminellen Memen infiziert. Hedgefonds verstoßen routinemäßig gegen Gesetze. Die SEC schaut zu, nickt ab. Für Unternehmerförderer wie uns ist das von Wichtigkeit, weil junge Unternehmen mit Leichtigkeit durch Hedgefonds in das Aus getrieben werden können. Eine ihrer Strategien ist naked shorted selling (verschieden vom normalen Leerverkauf), im Gesetz verboten, täglich praktiziert.
[2]
Die genannten Theorieströme („Österreicher“) leiten Krisen des gegenwärtigen Umfanges, auch die Kleinkrisen (Japan Asienkrise,), Schwedenkrise, Rußlandkrise, usf., die Große Depression ohnehin, davor die Depression von 1870- 1880, gleichfalls mit einer Immobilienkrise beginnend, aus Interventionen in den Wettbewerbsmechanismus und der Kontrolle der Geldversorgung her. Und diese sind Futter für die „Gier“ von Arbitrageuren. Für uns erstaunlicherweise spielen liberale Ökonomen im Augenblick das alt-chinesische Bambusspiel: flach legen, bis sich der Sturm gelegt hat, dann wieder aufrichten. Dies liegt auch daran, daß sie ein Theoriemodell im Kopf haben, daß eher neoklassisch angelegt ist, und welches in der Tat wenig hergibt, um zu verstehen, was sich auf den Finanzmärkten tut, und warum Interventionen durch die Geldpolitik (Greenspan Put; Abweichen von monetären Regeln) und in den US-Immobilienmarkt, auf den wir gleich zu sprechen kommen, sich zu einer Krise dramatischen Ausmaßes aufschwingen konnten, in denen ein Prof. Dr. Doom zum meistgefragten Ökonom aufsteigen kann. Viele haben auch wenig Kenntnis über das turbulente Leben auf den Finanzmärkten. Was für neoklassische Modellbauer gleichermaßen zutrifft. Wem naked short selling fremd ist, oder deleveraging, wie soll er Wallstreet verstehen, wie kann man die Emotionalität der Akteure nachempfinden und den blow out von dem, was der Ökonom „Rationalität“ nennt? Wir vermuten (wissen es aber nicht) in den vom (deutschen Staat) geförderten Forschungsinstituten eine vergleichbare Unkenntnis.
In einem Punkt stimmen wir daher Kritikern wie Rolf Stürner, Universität Freiburg (ehemals Lehr- und Forschungsstätte von F.A. von Hayek) durchaus zu: Das neoklassische Theoriemodell bringt als Krisen- und Entwicklungslogik wenig, auch wenn es durch Nobelpreise geadelt ist.
[3] Der Super-Arbitrageur George Soros argumentiert in die gleiche Richtung: gegen sog. Marktfundamentalismus (der ihm viel Geld einbringt).[4] Der Investmentbanker Hank Paulsen, den G.W. Bush zu seinem Finanzminister machte, hat durch die Nicht-Rettung von Lehmann Brothers die Krise dramatisch verschärft - unseres Erachtens auch aus liberaler Sicht ein Unding, weil die Nichtintervention (Konkurs) zusätzliche Interventionen geradezu heraufbeschwört. Er ist also voll in die Fundamentalismus-Falle getappt.
Die von Alt-Liberalen inklusive Schumpeter vertretene Interventionshypothese läßt sich so stark empirisch untermauern, daß man sich wundern muß, warum sie auch in den Medien kaum angesprochen wird (Ausnahmen gibt es, wie die Kolumnisten in der Financial Times Deutschland; wir geben zu, nicht alles lesen zu können, da wir selbst am französischen Atlantik daoistischen Bambusspielen nachzugehen pflegen) und daher die Vielzahl unserer Blogs zur Immokrise nicht ins Netz gestellt haben. (Dem Interessierten schicken wir diese gerne zu). Die Immobilienblase in den USA ist die Mutter der Finanzkrise, vielleicht sogar Depression. Sie steht auf zwei Interventionsbeinen: der Geld/Zinspolitik der amerikanischen Zentralbank und der Aufweichung und Außerkraftsetzung der Bonitätsregeln der Hypotheken- und anderer Banken. Kein Geld für ein Haus? Kein Problem. Zu geringes Einkommen, um die Kredite zu bedienen und zurückzuzahlen? Auch kein Problem. Den Hypothekenbanken wie Fannie & Mae wurden von der Politik, bewußt gewollt, und mit politischer Macht durchgesetzt, faktisch die Initiierung und Erhaltung einer Blase (als unbeabsichtigtes Ergebnis) aufgezwungen. Intervention. Zwang. Sogar die New York Times konnte sich diesen Fakten nicht mehr entziehen.
[5] Stan Liebowitz hat den ganzen Vorgang im Detail dargestellt, inklusive jener Denker aus der Wissenschaft, die diese Logik mit Vehemenz der politischen Klasse anempfohlen haben.[6] Die skizzierte Kritik am System einer spontanen Wettbewerbsordnung ist also, was die Entstehung und Ausbreitung der Krise entspricht, widersprüchlich. Gerade eine nicht-„neoliberale“ Politik war für die Krise verantwortlich. Den Wallstreet-Akteuren war all dies bekannt. Ein Banker berichtet:
Die Regierung war es aber auch, die vor Jahren den Startschuss zu der aufregenden Rally gegeben hat. Washington wollte, dass mehr Leute sich ein Haus leisten können, und begann die Zinssätze enorm zu drücken. Dadurch stiegen die Hauspreise, gingen Käufer immer größere Risiken ein und erzielten viele Finanzhäuser, die Darlehen zu undurchsichtigen Paketen zusammenschnürten und so neue Finanzinstrumente schufen, sagenhafte Gewinne.[7]
Was nach und parallel zu den Interventionen gelaufen ist, brauchen wir nicht zu erläutern. Investmentbanken sind eingestiegen (zu ihrer Ethik und Geschäftspolitik haben wir mehrfach Stellung genommen; siehe theoretische Grundlagen). Sie waren politisch gedopt, unter Drogeneinfluß. Was sich dann abspielt, läßt sich alles als Selbstläuferei theoretisch wie empirisch abbuchen, wie es Schumpeter und mit einem anderen Theorieansatz Hayek, detailliert aufzeigen. Logik also: Intervention → Immobilienblase → Finanzkrise (inklusive Derivative) → Rezession → Depression (?). Intervention läßt sich nur durch Intervention heilen. Ließe man jetzt alles laufen, wäre die Katastrophe komplett. Irgendwann läuft der Markt auf ein Gleichgewicht zu (Soros sieht das anders), angetrieben durch Arbitrage. Irgendwann. Keine Frage. Wohl auch ein Gleichgewicht im Sinne von Keynes erzeugend. Die Wohlfahrtsverluste wären gigantisch. Die Politik, einschließlich Zentralbanken, hat zu spät gesehen, was auf die Welt zukommt. Sehen es immer noch so. Die alte Geschichte: too little too late (Unvermögen schwache Signale zu erkennen und auf sie zu antworten). Man versucht sich an Konzepten, wie es in Zukunft besser zu machen ist, gibt die Strategie in die Hand von Wirtschaftsprüfern und Ratingagenturen und Finanzexperten und Beratern. Einem Menschen mit Herzversagen nützt der Rat, sogar die Auflage, doch in Zukunft gesünder zu leben, wenig. Er stirbt auf dem Weg in die Klinik. PUBH. Allah sei Dank. Dr. Doom, Nouriel Roubini, hat Vorschläge gemacht, was zu tun wäre, eine Checkliste für die Politik.[8] George Soros hat wiederholt und früh eine Rekapitalisierung der Banken vorgeschlagen. Wir würden auch anderes vorschlagen, speziell für die deutsche und europäische Situation, aber tendenziell Roubini folgen. Auch wenn es einer Behandlung von Verwundeten im 30-Jährigen Krieg gleichkommt. Immerhin überlebten sie. Einige.

Theoretische Grundlagen:
  • (a) Joseph Schumpeters Innovationslogik und seine Unterscheidung zwischen primärem Aufschwung/Rezession und sekundärem, durch Arbitrage/Spekulation getriebenem Aufschwung/Depression (siehe, Schumpeter, Konjunkturzyklen, 1962; 2008; Röpke, The Asian Depression, www….).
  • (b) Die Theorie unternehmerischer Funktionstiefe und Arbitrageskepsis von Röpke (Strategie der Innovation, 1977; Der lernende Unternehmer, 2002; Röpke & Ying Xia, Reisen in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 2007).
  • c) Theorie des Finanzunternehmertums von Cord Siemon, Unternehmertum in der Finanzwirtschaft, Mafex-Publikation, Band 7/2006, gleichfalls neuer Herausgeber der „Konjunkturzyklen“ von Schumpeter, Göttingen 2008: Vandenhoek & Ruprecht
  • d) Österreichische Theorie: Joseph T. Salerno, Hayek on the business cycle, Ludwig
  • von Mises Institute, 2008. (http://mises.org/story/3113).

    [1]
    On making distinctions in entrepreneurship
    [2]
    Viele Beispiele finden wir in den US-Aktienboards, etwa auf Investor Village. Wen es interessiert, konsultiere etwa den SGMO Message board, ein jüngeres Beispiel liefert Message 17446 of 17449, 12. Oktober 2008. Wie man eine Bank zerstört, hier Morgan Stanley, durch naked short selling, unter den Augen der Behörden!!, zeigt message 17429 of 17449 vom 11. Oktober. Hintergründe hier.
    [3]
    Rolf Stürner, Fortschritt durch Eigennutz? FAZ, 9. Oktober 2008, S. 6.
    [4]
    George Soros, How to capitalise the banks and save finance, The Financial Times, 12. Oktober 2008.
    [5]
    Charles Duhigg, Pressured to take more risk, Fannie reached tipping point, The New York Times, 5. Oktober 2008; ausführlich und weitere Quellen heranziehend Randall Parker, Political pressure turned Fannie Mae into drunken lending fool, Para Pundit, 5. Oktober 2008.
    [6]
    Stan J. Liebowitz, Anatomy of a train wreck. Causes of the mortgage meltdown, Independent Policy Report, 3. Oktober.
    [7]
    Jordan Mejias, Sollen und Haben, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Oktober 2008, S. 42, protokolliert in seinem Beitrag die Aussagen eines amerikanischen Investmentbankers.
    [8]
    Nouriel Roubini, The world is at severe risk of a global systemic financial meltdown and a severe global depression.