Samstag, 5. April 2008

Ein Euro pro Tag

Jochen Röpke

Soviel verdient ein Landarbeiter in einem indonesischen Dorf in Westjava, der höchstentwickelten Provinz in Indonesien. Seine Familie, drei Personen, benötigt zum Überleben drei Euro (40,000 Rupiah).[1] Die Landflucht schlägt daher neue Rekorde. Im informellen Sektor der Städte läßt sich etwas mehr verdienen, aber bei 1.8 Millionen Arbeitslosen in Westjava ist das ohne Selbstausbeutung auch nicht zu machen. Immerhin fördert die Provinzregierung das Training von Unternehmertum bei Arbeitslosen,[2] was wir in Deutschland, dem Land der Mitnahmeeffekte, wieder abgeschafft haben. Frau und Kinder bleiben im Dorf. Landwirtschaft wird eine Angelegenheit von Frauen. Die Diskriminierung von Frauen ist hier, sogar ohne EU, chancenlos. Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Land sind rar, versteckte Arbeitslosigkeit verbreitet. Da die Einkommen bereits am Existenzminimum liegen, hilft ihnen auch die deutsche Einsicht wenig, durch Lohnsenkung Arbeitsplätze zu schaffen. Auf die Idee, Geld für Lohnsubventionen à la Nokia zu spendieren, ist noch niemand gekommen. Das Kinderhilfswerk hat sich auch noch nicht sehen lassen. Ihre Berater lassen sich schließlich nicht für einen Euro pro Tag abspeisen. Und die Fahrer von Cayennes in der Londoner City und ihr Master aus Zuffenhausen haben anderes im Kopf als das von ihnen mit verursachte Elend in der Dritten Welt. Wir beobachten eine zweifache Umverteilung des Reichtums: Zwischen Reichen und armen Ländern und innerhalb der armen Nationen. Entwicklungshilfe, auf Indonesisch gesagt: lupalah! Vergiss es! Was passiert? Nichts – außer gelegentlicher Berichterstattung in der Zeitung, auf die sich der Autor stützt. Da gerade die Reisernte im Gang ist, berichten die Medien ausführlich über das, was auf den Dörfern so alles vor sich geht. Über Preise und Einkommen zu reden, ist in Indonesien Teil der Kultur. Jedermann weiß was der Präsident mit nach Hause nimmt. Alles ist optimal geregelt, wie in den Lehrbüchern der Ökonomie, auf deren Grundlage sich die Bundesregierung beraten läßt. Die Bauern verkaufen ihren Reis (Rohreis, gabah) für 2,000 bis 2,500 Rupiah (0.20 Eurocent) pro kg an die Händler. Auf einem Hektar erzeugen sie fünf Tonnen ungeschälten Reis, der ihnen 500 Euro bringt.[3] Natürlich betrachten sie sich als abgezockt – aber schließlich bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Genossenschaften existieren nicht (mehr). Innovation ist – lehrbuchgerecht – eine Rarität. Neue Arbeitsplätze gibt es daher auch nicht. Die Armut funktioniert also so, wie es das neoklassische Paradigma lehrt: effizient. Die indonesischen Bauern könnten Verdi darüber Nachhilfe erteilen, was einen gerechten Lohn ausmacht. Eine Eigenschaft der Daten über Armut in Indonesien ist ihre Schwankungsbreite. Das Amt für Statistik Indonesiens (Biro Pusat Statistik) schätzt den Anteil der Armen auf 16.5 Prozent der Bevölkerung, die Weltbank auf knapp die Hälfte der Bevölkerung (49 Prozent).[4] Wichtig ist natürlich, wie aus solchen Daten Informationen werden und aus Information sich Wissen erzeugt, insbesondere bei der politischen Klasse des Landes. Als kürzlich eine Mutter und ihre zwei Kinder verhungerten, löste dieses Ereignis einen Minischock im Lande aus - das war es auch schon. Die politische Klasse beschäftigt sich mit sich selbst. 2009 steht die Wahl an. Wie verteilen wir die Sitze? Wie halten wir die Konkurrenz neuer Parteien aus dem System heraus (deutsche Lösung: 5 Prozent)? Wie organisieren wir die Demokratisierung der Demokratie – zu unserem Vorteil? Die Armen bekommen Gutscheine um Lebensmittel wie Speiseöl billiger zu erstehen. In einem Bezirk der Hauptstadt Jakarta verteilen staatliche Unternehmen (Telekom, Bank Mandiri u.a) an 4000 Haushalte Nahrungsmittelpakete im Wert von jeweils 50,000 Rupiah (knapp 4 Euro, in Kaufkraft das Doppelte: Reis, Speiseöl, Zucker, Nudeln): „Corporate social responsibility“. [5] Die Presse berichtet ausführlich, welch großes Geld sich mit Palmöl (und Kokosnüssen, Superersatz für konventionellen Dieselsprit) verdienen lässt. Der Wirtschaftsminister des Landes (Bakrie) mischt über seine Plantagenfirma (Aktien auch in Deutschland gehandelt) kräftig mit.[6] „Der Baum des Lebens“ (Kokospalme) hält unsere Cayennes am Leben. Ave Gabriel, Thank you GWB, danke EU, danke auch den CDU-Lobbyisten für Biodiesel.[7] Der Bioethanolraffinerie von Südzucker produziert politisch-korrekte Güter. Die Todgeweihten grüßen Euch! Immerhin leisten wir unseren Beitrag zum Lebensunterhalt in indonesischen Dörfern. Die ökologischen Erzengel einschließlich Gabriel, vom Gott Gaia auf die Erde gesandt, kommen in unser Land, sogar in God’s Own Nation, stärken unser Bewußtsein, doch endlich mehr Biosprit zu produzieren.

„60 Prozent des Anstiegs des weltweiten Getreideverbrauchs sind der amerikanischen Ethanol-Industrie zuzuschreiben. Sie sorgt nicht nur für hohe Preise und eine zusätzliche Verknappung des Angebots, sie verringert auch die Zahl der Anbauflächen für Lebensmittel – nicht bloß in den Vereinigten Staaten. Wir erwarten Preisanstiege zwischen 50 und 100 Prozent für etliche Agrarrohstoffe.“

Diese Beobachtung macht der Leiter des Rohstoff-Research der Deutschen Bank, Michael Lewis.[8] Der Chef von Nestlé, Peter Brabeck, fürchtet um sein Geschäft: „Wenn man zwanzig Prozent des Treibstoffs mit Biotreibstoffen anreichern will, bleibt zum Essen nichts mehr übrig“.[9] Biotreibstoffe sind ein sprachlicher Affront gegen die Biobranche. „Agrotreibstoffe“ muß es korrekterweise heissen. Die EU wird hier sprachlich auf dem Verordnungswege nachbessern müssen. Dafür hat sie das Recht, die Bürger zu zwingen, ihrem Treibstoff nachwachsende „agrofuels“ beizumischen. Ungehorsam ist hier nicht erlaubt, sogar „illegal“, auch wenn dies, wie so oft, den Wohlstand der Menschen mehrt. Die indonesischen Bauern danken es uns. Den Reis essen sie, teilweise noch selbst - noch. Einige können sich den selbstproduzierten Reis nicht mehr leisten (Ägypten hat die Reisausfuhr mittlerweile eingestellt, berichtet Les Echos, 31. März 2008, S. 11). Beim Speiseöl zum Kochen und Braten müssen sie täglich höhere Preise bezahlen. 13,750 Rupiah pro kg, exakt ein Euro, ein neuer Höchststand.[10] Für den Ökonomen interessant ist die Aussage der Beteiligten: Niemand weiß so recht, auf den indonesischen Märkten, warum die Preise so hoch sind (Die deutsche Botschaft hat ihnen noch keinen Kontakt mit den allwissenden Klimaforschern aus Potsdam ermöglicht). Das Entdeckungsverfahren des Marktes (F.A. Hayek) funktioniert in Reinkultur. Indonesien produziert eigentlich genug Palm- und Kokosöl. Aber die Plantagen verkaufen es auf dem Weltmarkt bei rasant steigender Nachfrage - für die Produktion von Kraftstoff (biofuel). Zumindest die Orang Utans (Waldmenschen) und Tiger und Elefanten haben es besser. Sie brauchen sich um ihr Überleben keine Sorgen mehr zu machen. Palmölplantagen ersetzen den Urwald. Der einzige Lichtblick: den Tibetunterdrückern geht es an den Kopftopf. Die Han leiden wie die indonesischen Pribumis. Der Preis für Speiseöl stieg auch in China um nahezu 50 Prozent. Die Rache des Buddha nimmt noch schlimmere Züge an. Schweinefleisch, ohnehin nicht hallal, verschwindet vom Speisezettel der Armen. Zu teuer, die Mast ist für die Bauern unerschwinglich, zudem wüten Seuchen in den Schweineställen. [11]Japan hat schon im vergangen Jahr die Ausfuhr von Reis nach China eingestellt und auf gute Geschäfte verzichtet. Alzheimertest „Gewöhnlicher Reis wird für Y 16,000 (€ 95) pro Sack (bag) in Japan verkauft. Aber er kostet Y 78,000 in China. Sogar jemand mit Alzheimer kann sehen, was von 16,000 und 78,000 das teurere ist.“ Taro Aso, japanischer Außenminister, über die Vorteile japanischer Reisexporte nach China. Financial Times, 21. Juli, 2007, S. 3. PS. Der Minister erntete ob des Vergleichs Proteste mußte sich entschuldigen.
Kleben wir wenigstens einen Aufkleber mit Tigerkopf in unsere Cayennes, damit wir uns daran erinnern, wem wir für unseren Tankinhalt dankbar sein dürfen. Und jede Krise bietet ihre Chance, im Jahr der Ratte ohnehin: Ob Hedgefonds oder Kleininvestor, jeder hat die Chance mitzuspielen. Die ersteren verdienen steuerfrei, die letzteren, wenn sie das Zertifikat A0NAWS kaufen, zahlen ihre Abgeltungssteuer, denn Biodieselsubventionen gibt es nicht umsonst.
[1]
Kompas, 25. Februar 2008, S. A, Urbanisasi sulit dibendung (Urbanisierung schwierig einzudämmen).
[2]
Kompas, 27. Februar 2008, S. C: 1,8 juta penganggur terdidik di Jabar (1.8 Millionen Arbeitslose erhalten Training in Westjava).
[3]
Kompas, 28. Februar 2008, S. J: Petani mendesak agar harga gabah dinaikkan (Bauern machen Druck für steigende Preise für Reis).
[4]
Kompas, 9. März 2008, S. 2: Data BPS tentang kemiskan.
[5]
Kompas, 9. März, 2008, S. 4: 4.000 RT sangat miskin di DKI dapat bantuan (4000 sehr arme Haushalte erhalten Hilfe in Jakarta).
[6]
Heri Susanto, Melesat minus tenaga kerja (Wachstum ohne Arbeitskräfte), Tempo, 9. März 2008, S. 70-71.
[7]
Klaus Stratmann, Unionspolitiker wollen Biodiesel retten, Handelsblatt, 14. März 2008, S. 6.
[8]
„Die Rallye geht weiter“, Interview, Wirtschaftswoche Nr. 10, 3. März 2008, Agrarrohstoffe: Die längste Rallye der Geschichte.
[9]
In NZZ am Sonntag, zitiert nach Le Monde, 30. März 2008, S. 13.
[10]
Kompas, 29. Februar 2008, S. 26: Minyak goreng mencapai Rp. 13.750 per kg (Öl zum Braten und Kochen erreicht 13,750 Rupiah pro kg).
[11]
Yann Rousseau, Inflation: Pékin annonce de nouvelles aides pour ses paysans, Les Echos, 31. März 2008, S. 11.

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