Dienstag, 10. November 2009

Der Untergang von Quelle

Als Aufbrechen einer Tür im Vergleich zu einem Bombardement, hat Joseph A. Schumpeter in „Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie“ die Wirkkraft radikaler Neuerungen bezeichnet.
Das Kaufhaus Quelle ist ökonomisch tot. Durch Bombardement? Welche Innovation hat Quelle erledigt? Die Sache ist komplizierter als in einem einfachen Modell „schöpferischer Zerstörung“. Dem Ableben ging eine lange Phase chronischer Krankheit voraus. Eine Kompression von Morbidität (gesundes Leben, dann rascher Tod), gab es nicht. Ein langes Siechtum. Umgangssprachlich ließe sich sagen: Quelle habe das Internet „verschlafen“, sein traditionales Geschäftsmodell zu lange reproduziert. Dazu kam das Arcandordebakel, das Hin- und Herschieben von Eigentumsanteilen und ständiges Restrukturieren („Deal making“).
Erst kurz vor dem Ableben, auf dem Todesbett, wenige Tage vor der endgültigen Liquidation, erst im Liquidationsprozeß selbst, setzt Quelle massiv auf das Internet, Verkauf über Online in großem Stil, alles was noch übrig ist, wird über das Web verscherbelt.
Auf dem Todesbett macht das Versandhaus, was es versäumt zu tun, als noch monetäre Lebensenergie in seinen Adern fließt, das Versandhaus noch lebt: über das Web verkaufen. Ergebnis: Liquidation über das Internet.
Quelle wurde als Konzern wohl gut gemanagt, was Routine, die „Dinge richtig tun“ (Peter Drucker) angeht. Aber die „richtigen Dinge tun“ lag außerhalb des Geschäftsmodells und der Vorstellungskraft der Topmanager.
Als das Web anläuft, keine Vorstellung, wie es sich auf das etablierte Geschäftsmodell auswirken könnte. Ich vermute: Heerscharen von Beratern, genauso blind, ohne Vorstellungskraft, optimieren das Geschäft. Die falschen Dinge richtig machen. Man nennt das „Optimierung“, ein Fall von Paralyse durch Analyse.
Der Untergang hat somit eine lange Vorlaufzeit. Die Parabel vom sterbenden Frosch liegt nahe. Werfe einen Frosch in einen Topf mit Wasser, erhitze das Wasser langsam. Der Frosch fühlt sich wohl. Drehe die Temperatur hoch. Allmählich unangenehm, aber es reicht zum Überleben. Steigt die Temperatur (durch basisinnovative und disruptive Internetkonkurrenz) weiter an, ist der Frosch so schwach, daß er nicht mehr aus eigener Kraft aus dem Wasser springen kann. Er verbrüht.
Andere Beobachter nennen es „Management by crocodile [opel-style]“: Warten bis einem das Wasser am Hals steht, dann laut aufschreien.
Der Gründer von Amazon, Jeff Bezos, machte es vor, 1994, gegen massive Kritik, gegen den Rat der Investmentbanker, der Lächerlichkeit preisgegeben. Ausgestattet mit einer Vision, unterlegt mit Imagination. Bei Quelle ein Hin- und Her von Dealmakern. Abgezockt, ausgeplündert, schöpferisch zerstört. Wir wissen zwar von Helmut Schmidt: „Wer eine Vision hat, sollte zum Arzt gehen“. Quelle zeigt uns: Wer keine Vision hat, ist reif für Schumpeter (PBUH).
Aus theoretischer Sicht zwei Anmerkungen. So einfach die Zusammenhänge sein mögen, die Fachleute, zumindest akademisch geschulte, kennen sie (oftmals) nicht. Behaupte ich mal. An Universitäten und Management Schools nicht gelehrt. Kant sagte: Das Praktischste was es gibt, ist eine gute Theorie. Umgekehrt: Das Unpraktischste was es gibt, ist eine schlechte Theorie. Offensichtlich bei Quelle und vergleichbaren Fällen der Fall.
Eine Theorie unternehmerischer Funktionstiefe (RAIE: Routine, Arbitrage, Innovation, Evolution), praktiziert, hätte Quelle vor dem Untergang bewahren können. Mit Routine kommt man nicht weiter. Die für Quelle seit Jahren Verantwortlichen setzen auf „Arbitrage“, hier: Dealmaking; Aufkauf, Verkauf, Eingliederung, erneut Umstrukturierung, unternehmerische und organisatorische Autonomie ist längst verschwunden, die Dealmaker machen gutes Geld, oft noch unversteuert (Steuerreform Hans Eichel). Auswüchse der angelsächsischen Spielart des Kapitalismus.
Dritte Ebene: Innovation. Lief sicher einiges, inkrementelle Neuerungen, vielleicht auch Verbesserungsinnovationen, aber kein Anschluß an die Basisinnovation Internet usf. Das Moorsches Gesetz (Verdoppelung der Computerleistung alle 18 Monate) und das Gesetz von Metcalfe (der Nutzen eines Kommunikationssystems wächst mit dem Quadrat der Anzahl der Teilnehmer) bleiben ungenutzt.
Dies zu leisten fehlte die Vorstellungskraft (ein ausgeprägtes Kompetenzdefizit im Management: vierte Funktionsebene). Diese ist durch Nichts zu ersetzen. Keine Selbstevolution (Fähigkeitsaufbau) der Verantwortlichen und ihrer Berater und Finanziers. Somit: evolutorisches Unternehmertum hat letztlich das Schicksal von Quelle besiegelt.
Am Ende wissen wir es immer besser. Nein. Keine Besserwisserei, nur Anwendung von vier Regeln:
(1) Hände weg von Dealmaking (Arbitrage).
(2) Beachte unternehmerische Funktionstiefe.
(3) Beobachte disruptiv und/oder basisinnovativ operierende Wettbewerber (Unterfall von 2).
(4) Ständiger Fähigkeitsaufbau jenseits der Fachkompetenz, insbesondere von Vorstellungskraft (Unterfall von 2).

Donnerstag, 30. April 2009

Die Krise ist angekommen.

Jochen Röpke

25. April 2009


“The worst thing for the world economy would be to assume the worst is over.”

The Economist, 25. April 2009
Wer weiß es? Auch Gott nicht. [F. A. Hayek auf die Frage, was ein Student lesen sollte: „Den Economist und eine gute Tageszeitung (damals, Mitte der 1960-er: die FAZ)“.

Es hat lange gedauert, bis sie wahrgenommen, geschweige ernst genommen wurde, geschweige therapiert wurde. Letzteres steht noch aus. Ratlosigkeit herrscht jenseits jener Kreise, deren „Reputation“ in den Medien täglich zelebriert wird.
Bei der Krise geht es nicht um Marktversagen. Dann hätten wir Krisen ohne Ende. Der Markt operiert wie es die Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft verlangen. Seit Adam Smith bekannt – in Grenzen, weniger bei Ökonomen. Man drehe die Uhr ein Jahr, zwei Jahre zurück, lese nach, was die Politikelite und Wissenschaft den Medien anvertrauten. Schwache Signale für Wissenschaft, Politik, Manager (Schaeffler schlägt bei Conti zu und Merkle, PBUH, vergreift sich bei VW). Der Maschinenbau ist in Hochstimmung und die Automobilindustrie feiert ihre Exportweltmeisterschaft. Es gibt kein Problem. Vorstellungskraft galt einst als unternehmerische Kernkompetenz.
Der Internationale Währungsfonds – G20 will ihn keynesianisch neu beleben - kommt in seinem Jahresbericht 2006 bezüglich der Finanzinnovationen der Investmentbanker zu dem Schluß: „The dispersion of credit risk by banks to a broader and more diverse set of investors [IKB, Landesbanken usf.] … has helped to make the banking and overall financial system more resilient … improved resilience may be seen in fewer bank failures.“ Die Mediziner haben einen Namen dafür, die Ökonomen (jenseits der Paleo-Schumpeterianer und der „Österreicher“) suchen noch: „Unrecognized myocardial infections“ - UMI. [1]
Wachstum minus ein Prozent: Konjunkturpaket 1. Wir sind gut aufgestellt. Minus zwei Prozent. Konjunkturprogramm 2. Minus fünf Prozent. Es reicht, wir brauchen kein drittes Programm. Sagt auch der Sachverständigenrat. Vertrauen in den Markt, trotz dessen, schulökonomisch oder neoklassisch konstruierten „Versagens“. Abgesehen von der Architektur der Maßnahmen: Programme, greifen kaum, bis heute. Wenig Abfluß von Geldern.[2] Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wird ihre Kredite nicht los. Muß also Marktfundamentalismus, Selbstheilung, die Konjunktur retten? An einem einzigen Tag (23.4. 2009) lesen wir folgende Schlagzeilen in Spiegel Online:

  • „Wirtschaftseinbruch schürt Angst vor sozialen Konflikten“,
  • „Bosch kündigt weiteren Jobabbau an“,
  • „Wirtschafts-Absturz macht Merkels Krisenrunde ratlos“,
  • „Institute prognostizieren Explosion der Staatsverschuldung“,
  • „Pessimistische Prognosen: Deutschland stürzt in tiefe Rezession“,
  • „Mittelstand erwartet massiven Jobabbau“. Der Herzinfarkt eines Systems.
  • „GM erwägt monatelangen Produktionsstopp.“


  • Wie an dieser Stelle mehrfach erläutert, ignorieren die Konjunkturprogramme bis heute – mit Ausnahme des chinesischen – Wachstumskräfte jenseits von Gleichgewichtslogik und Nachfrageausfall nach Keynes. Auch wenn die zuständige Wissenschaft wenig Hilfe bietet, läge der gesunde Menschenverstand eines Politikers es nahe, Alternativen zu erkunden. Müntefering und die Kanzlerin sind keine Innovationsignoranten. Warum nicht Innovation und Konjunktur maßnahmenpolitisch verknüpfen? Ergebnis:
    „Krisenpolitik ignoriert Wachstumstreiber“, berichtet Hubert Beyerle über eine Untersuchung des Brüsseler Thinktank Bruegel.[3] „Der Anteil der gegen die Krise eingesetzten Budgetmittel, die an forschungsintensive und innovative Unternehmen gehen, schätzen die Ökonomen auf lediglich ein Prozent.“ Der Politik kann man innovationsarme Politik nur in Grenzen anlasten. Was soll sie machen, wenn man auf das hört, politisch rational, was Wissenschaft und Experten sagen? Wenn sie etwa auf einen Nobelpreisträger wie Edmund Phelps hören, der zwei Alternativmodelle zum herrschenden Keynesianismus - Schumpeter und Hayek - in bemerkenswerter Weise mißversteht und Naivität zur Krisenerklärung erhebt.[4]
    Immerhin sagt auch Phelps: „. …wir müssen die Innovationskraft der Wirtschaft wiederbeleben“. Die Innovationskraft ist nicht tot. Sie lebt – geknebelt und finanziell und fiskalisch eunuchisiert. Beispiel Biotechnologie.[5] Die Stärkung der Kräfte der Neukombination und Selbstveränderung (Evolution) bleibt aber in allen Krisenprogrammen außen vor, unbeachtet, nicht gefördert. Gewaltige Opportunitätskosten in Form entgangener Vorteile sind die Folge. Nicht erzeugte Einkommen und Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in der Zukunft. Die zukünftige Staatsverschuldung explodiert. Es bleibt schwierig zu verstehen: Der Staat nimmt soviel Geld in die Hand. Die Krise gab ihm die Chance, eine Konjunkturpolitik zu machen und gleichzeitig, mit den gleichen Maßnahmen, Wachstum durch Innovation zu erzeugen. Daß Ökonomen Gefangene ihrer Modelle sind, ist verständlich. Warum läßt sich Politik ihrer potentiellen Weitsichtigkeit berauben, steuert die Gesellschaft visionslos in die Stagnation?
    Die Chancen sind vertan. In Europa, in den U$A. Wir leiden, dank sei dem Dalai Lama, für viele, viele Jahre.
    Was kommt nach der Krise wenn die Wachstumstreiber Innovation und Selbstevolution ignoriert bleiben? Stagnation, schwaches Wachstum ist das wahrscheinlichere Resultat der vorherrschenden Politikversuche auf der Grundlage kognitiver Routine. Basisinnovationen in den reifen Industrieländern laufen aus. Der „tendenzielle Fall der Profitrate“ (Karl Marx) ist dann unvermeidlich. Das Neue wahrscheinlicher zu machen, erfordert kognitive Innovation jenseits des herrschenden wissenschaftlichen und industriellen Lobbyismus. Ein evolutionärer Drift bleibt unerkennbar. „Mama [Mutti, Mamam], ich bin schwanger“, verrät uns die soziale Marktwirtschaft. „Karl ist wieder auferstanden, hat mir ein Kind gemacht.“ „Kein Problem, Hauptsache, es ist kein Wahltagbaby“. Freuen wir uns auf eine ökonomische Apoptosis.[6]

    [1] Siehe den Forschungsbericht zum „schweigendem“ Herz in Science Daily (22. April 2009: Prevalence of ‚silent’ heart attacks revealed with new imaging technology.
    [2]
    „Staatshilfe kommt nur tröpfelnd an“, Handelsblatt, 9. April 2009.
    [3]
    Financial Times Deutschland, 20. April 2009: Krisenpolitik ignoriert Wachstumstreiber
    [4]
    Edmund Phelps, Die vergessene Unsicherheit, Financial Times Deutschland, 24. 4. 2009,
    [5]
    Armelle Bohineust, Les PME de biotechnologie souffrent, Le Figaro, 6. April 2009, S. 25; Jerome Porier, Fragilisées par la crise, de nombreuses sociétés de biotechnologies sont menacées. En France, les investessements ont plongé de 79 % entre 2007 et 2008, Le Monde, 8. 4. 2009, S. 12; Siegfried Hofmann, Biotechbranche fürchtet Finanzlücke, Handelsblatt, 14. April 2009, S. 11.
    [6]
    In der Biologie: programmierter Zelltod.

    Sonntag, 22. Februar 2009

    „Das kooperative Gen“ – ökonomisch betrachtet

    Jochen Röpke

    22. Dezember 2008

    Charles Darwins zweihundertsten Geburtstag feiern wir im kommenden Jahr. Rechtzeitig zu den anlaufenden Feierlichkeiten legt sich der Freiburger Mediziner, Prof. Dr. Joachim Bauer, mit Evolutionsbiologen an. In seinem Buch „Das kooperative Gen“ (Hoffmann & Campe, 2008), nimmt er „Abschied vom Darwinismus“. Er formuliert die Antithese zum „egoistischen Gen“ von Richard Dawkins, einem Vollblutdarwinisten. Sich mit Biologie beschäftigende Ökonomen argumentieren eher in die Richtung Darwin-Dawkins. Wir nennen es DaDa-ismus.
    Die Hauptthese von Bauer: „Neue Arten sind die Folge von schubweisen Veränderungen der genomischen Architektur, die von Organismen beziehungsweise deren Zellen selbst organisiert werden.“[1] Die evolutionsbiologische Logik der Überlegungen von Bauer wurde heftig kritisiert: „keine Ahnung von Evolutionsbiologie … postuliert wirres Zeug ... tiefstes Unverständnis und oberflächliches Halbwissen.“[2]

    Wir beschäftigen uns aus evolutionsökonomischer Sicht mit der vorgestellten Zentralthese von Bauer. „Schubweise Veränderungen“ klingen uns vertraut. Haben nicht Nikolai Kondratieff und Joseph Schumpeter ein Solches als Mechanismus der Entwicklung definiert? Entsprechen nicht schubweise Veränderungen im System der Wirtschaft Basisinnovationen oder „Kondratieffs“ (Schumpeter)? Entstehen diese nicht „endogen“ (Schumpeter) und „selbstorganisiert“? Wie sonst?

    Diese Interpretation macht aber noch wenig theoretischen Sinn. Wie immer, wenn es mit der Theorie Ärger gibt, spielen Unterscheidungen (Maturana: „making distinctions“) eine Rolle, insbesondere solche, die man nicht macht. Grundsätzlich für Evolutionsökonomen wäre, zwischen „Entwicklung“ und „Evolution“ zu unterscheiden. In der Biologie ist dies mittlerweile Standard,[3] in unserem Fach die Ausnahme. Wenn wir „neue Arten“ als Innovationen bezeichnen, was entspräche dann der Veränderung der „genomischen Architektur“ im System der Wirtschaft? Man könnte sagen, die Basisinnovation, die „lange Welle“, der Zyklus, gehen mit Veränderungen einher, deren konkreter Ausdruck Innovationen im Zeitpfad eines Lebenszyklus wären. Die Kraft, die diese hervorbringt (Schumpeter: „Energie“), ist diese dann die Genomik des Systems? Dies macht Sinn, wenn wir Kraft als Kompetenzen („Persönlichkeit“) verstehen, die sich von Welle zu Welle schubweise (im Nachhinein beobachtet) verändern. „Der Unternehmer setzt seine Persönlichkeit ein und nichts andres als seine Persönlichkeit. Seine Stellung als Unternehmer ist an seine Leistung geknüpft und überlebt seine Tatkraft nicht“ (Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1911/2006, S. 529).[4]

    Man kann selbstverständlich auch das Standardmodell der Evolution: Variation, Selektion, Stabilisierung auf den neukombinativen Entwicklungsprozeß anwenden – das herrschende Vorgehen. Man verschenkt dann jedoch eine ganze Theorie-Ebene – Genomik -unterscheidet nicht zwischen Phänotyp und Genotyp in ihrer funktionalen Unterschiedlichkeit.

    Vergleichen wir den Automobil- mit dem Bio/Nanozyklus (vierter und sechster Kondratieff). Nur ein radikaler Umbau des Fähigkeitsprofils (nicht gleichzusetzen mit Wissen) in Wissenschaft und Wirtschaft leistet die Entstehung dieses neuen Lebenszyklus. Ein Fähigkeitsschub gleichsam, ist notwendig, um neue Arten (Bio- und Nanoprodukte) hervorzubringen. Sagen wir also: eine selbstorganisierte Kompetenzsteigerung in allen Dimensionen (nicht nur der kognitiven), die sich schubweise vollzieht und durchsetzt. Was bedeutet aber nun schubweise? Wie in der Biologie ist die Zeitdimension zu beachten. Schub bedeutet nicht plötzliche Umstellung, vielmehr graduelle, in der kurzen Frist nahezu nicht wahrnehmbare Transformation der Kompetenzen, eingebunden in Lernprozesse, die zwischen bewußt und unbewußt hin und her pendeln und die auch evolutorische Fallen durchlaufen. Nicht zuletzt, wenn die „Arten“, die sie selbstorganisiert hervorbringen, in schöpferischer Zerstörung zugrunde gehen (biologisch: „aussterben“). Evolutionärer Wandel vollzieht sich graduell.
    Die Kompetenzevolution verlangt, beispielsweise das Hören und die Kommunikation von „schwachen Signalen“. Wie hört man das, was noch schweigt, noch keine Stimme hat? Loslassen, Leermachen. Die Daoisten nennen es de (Wirkkraft des dao). Wir vermuten: die Dominanz neuer Unternehmen, ihre so oft zufällige, nur im nachhinein (Aha-Wirkung) erkennbare wirtschaftliche Potenz, ihre faktisch nur in Grenzen durch Intervention erzeugbare Machbarkeit, hängt an den Einflüssen von de, ist Folge einer Kompetenzentfaltung insbesondere bei der Erzeugung von „schubweisen Veränderungen“. Zynisch gesagt: wenn die Frösche im heißen Wasser das Sagen haben (die Signale ihres Untergangs nicht wahrnehmen; Automobilkondratieff [5]), sind schwache Signale nicht existent. Der Unternehmer/Manager[6] kann sie nicht wahrnehmen, in sich erzeugen, sein Vermögen dazu erfordert Kompetenzen, die im bestehenden Unternehmen nicht verfügbar und/oder nachgefragt werden, die auch oft die neuen Unternehmer nicht haben müssen, wenn sie sich dem Diktat des Zufallserfolgs beugen. Was dann schiefgeht, irgendwann, zeigt der Untergang der US-Automobilindustrie, zeigt die Insolvenz von Lehman-Brothers, das Schlüsselereignis der Finanzkrise. Bemerkenswert die Führungsqualitäten des Topmanagements, die Unfähigkeit schwache Signale zu erkennen: in der Evolutionsfalle. [7] Kein Lehrmaterial für MBAs und Schools of Finance – ausgedünnte Ko-Evolution. Tausend MBA-Degrees ersetzten keine „Persönlichkeit“.


    Was können wir mit „kooperativ“ theoretisch anfangen? Wir verstehen es als „Evolution durch Ko-Evolution“: die wechselseitige Hervorbringung von Kompetenzen. Evolution in der Wirtschaft, in der Gesellschaft läuft über einen ko-evolutiven Mechanismus.
    Unsere theoretischen Grundlagen: · Röpke, Der lernende Unternehmer, 2002 · Röpke & Ying Xia, Reisen in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 2007 · Kazue Haga & Röpke, Wie lernen Unternehmer? Mafex Working Papers, 2007

    [1]
    Joachim Bauer, Dogmatische Evolutionswächter, Handelsblatt, 18. Dezember 2008, S. 9.
    [2]
    Axel Meyer in seiner Besprechung des Buches: Dummes Zeug über Darwin, Handelsblatt, 4. Dezember 2008, S. 9.
    [3]
    Axel Meyer, Danken wir den Fischen mit fünf Fingern, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Dezember 2008, S. Z3.
    [4]
    Zufall oder nicht, in Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahrs ist zu lesen: „Nicht die Talente, nicht das Geschick zu diesem oder jenem machen eigentlich den Mann der Tat; die Persönlichkeit ist’s, von der alles abhängt.“ Der „Mann der Tat“ ist der Menschentyp, den Schumpeter in seiner Entwicklungstheorie in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens rückt und den die herrschende Theorie und weite Teile der Sozialwissenschaften, inklusive Psychologie, zu einem UFO (unbekanntes Forschungsobjekt) machen.
    [5]
    Autoindustrie: Der Niedergang des vierten Kondratieff, 17.November 2008.
    [6]
    Das Gleiche gilt für Funktionsträger in anderen Teilsystemen der Gesellschaft.
    [7]
    Spiegel Online, 21. Dezember 2008, Wie der Lehman-Boss die Welt in Panik versetzte.

    Samstag, 14. Februar 2009

    Auf dem Weg in die wirtschaftliche Demenz? Krisenpakete und ihre Folgen


    Quelle
    Jochen Röpke
    14. Februar 2009

    Die Finanz- und Wirtschaftskrise überfordert die Elite. Die Davosianer sind ratlos.[1] Die classe politique reagiert mit zunehmender Panik. Sie baut „Konjunkturpakete“ nach der Art des Weihnachtsmanns – der vorher eine Bank ausraubte, um seine Geschenke zu bezahlen. In der Ökonomenbranche herrscht Schweigen oder Schaulaufen mit Patentrezepten.

    Was wir hier kurz erläutern, folgt theoretischen Beschränkungen. Wir philosophieren nicht. Im Hintergrund läuft eine Theorie mit, die oft erläutert wurde. Ob man sie für gut oder schlecht im Sinne von Immanuel Kant hält, ist eine andere Frage. Was wir fragen: Was wäre anders zu machen, hielte man sich an diese Logik.


    "Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten” Paulus, 2. Kor 9,6

    Das Konjunkturpaket II liegt auf den runden Tischen. Das Obamaprogramm ist die Legislative. Beide Programme sind ähnlich gestrickt. Die Vielfalt der Meinungen über ihre Quantität und Qualität bleibt beachtlich. Wenn wir unterscheiden zwischen Konjunktur (Auf- und Abschwung; Zyklus), Wachstum und Entwicklung, hat das „größte Paket in der Geschichte der Bundesrepublik“ (Angela Merkel) primär konjunkturelle Ambitionen, welche die Experten kleinreden, bringt vielleicht auch Wachstum, mit Gottes Beistand, entwicklungslogisch ist die Chance vertan. Obamaismus und Merkelismus gleichen sich. Sie sind beide meilenwert entfernt von dem, was man tun könnte, um Konjunktur- und Entwicklung, Gegenwart und Zukunft, gleichzeitig, durch identische Maßnahmen, zu fördern. Kaum mehr als 15 Prozent des Geldes fließt in „Entwicklung.“ Auch konjunkturpolitisch im keynesianischen Sinn sind sie problematisch, da sie, angesichts des weltweiten Einbruchs der Nachfrage eine viel zu späte und viel zu unsichere Wirkung entfalten. Keynes hat nicht umsonst vorgeschlagen: Löcher graben, mit Flaschen füllen, zuschütten und wieder ausgraben. (Zu den Flaschen sagen wir nichts.) Das wirkt über Nacht. Das deutsche Programm muß großkoalitionären Beschränkungen folgen, und bei Barack Obama spielen ideologische und ethnische Präferenzen, auch seiner Gegner, eine Schlüsselrolle.[2]
    Im Entwicklungsprozeß sind Schwankungen (theoretisch) normal, allerdings nicht solche, wie wir sie jetzt erleben dürfen. Kein „Marktfundamentalismus“ kann bewirken, was durch politisch motivierte Eingriffe in eine komplexe Wirtschaft an Verwerfungen ausgelöst wurde. Der Nagel braucht den Hammer. Die Energie des Hammers kommt nicht aus ihm selbst. Sie ist, überwiegend, eine politisch erzeugte. Es handelt sich nicht um „Marktexzesse“ (Merkel; in Davos: „Die Kräfte des Marktes haben versagt“), sondern um durch Intervention (den Staat) in Kombination („struktureller Kopplung“) mit der alltäglichen Psyche der Marktteilnehmer und dem Aufstieg von unbewußt operierenden Inkompetenten (Banker, Berater) erzeugte Schieflagen dramatischen Ausmaßes. Die arbitrage-kapitalistische Maschine brennt aus. Systemisch betrachtet sind alle Teilsysteme involviert: Politik, Wirtschaft und (Wirtschafts-)Wissenschaft.
    Die Ankopplung an die langfristige Entwicklungsdynamik entscheidet darüber, ob die deutsche Volkswirtschaft ihren Weg in die Innovationsdemenz beschleunigt fortsetzt. Wenn schon der Staat Kaufkraft erzeugen muß, dann auf eine Weise, daß diese die Entstehung von innovationsbasierten Mikromultiplikatoren fördert. Was man hier machen könnte, wissen wir, haben wir und andere auch – vor Installierung der Großen Koalition – dargelegt. [3] Dies läßt sich sicherlich alles noch besser machen. Das ist nicht entscheidend. Vielmehr die Konstruktion einer Zukunft für die deutsche Wirtschaft, wie sie heute nicht erkennbar ist, und bei den bestehenden Beschränkungen sich nicht entfalten kann, aber sich entwickeln müßte, will die deutsche Volkswirtschaft nicht auf dem Weg in die Altersverwirrtheit zügig voranschreiten. Man kann dann nur noch über die Pflegestufe streiten. Um das zu leisten, darf man nicht die Verbände fragen (Vertreter des Etablierten, des Alten, des Aufgelaufenen, der „Schlüsselindustrien“: Management by crocodile: Warten, bis einem das Wasser am Hals steht, dann das Maul weit aufreißen; Schaeffler-Syndrom; ausgenommen jene der jungen Industrien: Nano, Bio, Roboter usw., was die Amerikaner NBIC nennen: Nano, Bio, Info, Cogno; sie wissen, was keine Behörde weiß: wo die Schwierigkeiten liegen, im Prozeß des Säens des Neuen), auch nicht die Mandarine im Bundesfinanzministerium (die bis heute wesentliche Innovationsimpulsgeber steuerlich blockieren und eine Froschkultur – werfe einen Frosch in eine Schüssel mit Wasser, drehe die Temperatur hoch, usf. - verinnerlicht haben): unfaßbar, was man mit Änderungen, die einen Bruchteil des Pakets II kosten, an Dynamik erzeugen könnte. Die „Schlüsselindustrien“ sind die Wegbereiter volkswirtschaftlicher Demenz. Überlassen wir sie den tibetanischen Totenbüchern.
    Wenn Konjunkturen integrale Aspekte von Entwicklungsdynamik sind – was jene Konjunkturtheorien sagen, die in keinen Lehrbüchern mehr auftauchen (Schumpeters Konjunkturzyklen wurden gerade neu aufgelegt[4]) – besteht die „Kunst des Krieges“ (Sun Zi) gegen den Absturz in der Konzeption und Durchsetzung von Maßnahmen die (1) dem Kaufkraftverfall entgegenwirken, (2) die langfristige Entwicklungsdynamik stärken und dennoch bereits kurzfristig Impulse ausstrahlen und (3) die spontanen Selbstheilungskräfte komplexer Wirtschaftsordnungen, das ist im Kern die Mobilisierung unternehmerischer Energie, stärken, (4) Unternehmen Liquidität bzw. Finanzkapital zuführen, um weitere Investitionen zu tätigen zu können. Jede Maßnahme ließe sich an diesen Kriterien zu überprüfen. Was 1-4 nicht erfüllt: raus; der Steuerzahler lacht und die Wirtschaft fängt wieder an zu brummen.
    Was bliebe von den Stützungsprogrammen I & II, von Obamas Programm, wenn wir diese Kriterien zum Maßstab machten? Auch Schlüsselindustrien fallen der Altersverwirrtheit zum Opfer. Alte Basisinnovationen verlieren an Dynamik. Komparative Vorteile wandern in „emerging economies“. China-Bashing wird zur Norm politischer Weisheit. Die Welt der Bedürfnisse unterliegt einem Wandel. Habengüter weichen Evolutionsgütern.[5] Diese Trends laufen unabhängig von der Krise. Auch wenn wir sie irgendwie hinter uns lassen, die Chancen für nachhaltiges Wachstum bleiben, wenn Politik und Wirtschaft nicht „schöpferisch antworten“ (Schumpeter), bescheiden. Was kommt danach? Dauerkrise? Schulden bleiben. Wie sie zurückzahlen ohne Wachstum? Parallel laufen die Terrorerzeugungs/vernichtungsaktionen im Mittleren Osten (Militärbudget der USA: 1000 Mrd. Dollar pro Jahr). Die Märkte beginnen bereits, die Perspektivlosigkeit einzupreisen. Noch so viele Investitionen in Bildung und Infrastruktur und Forschung und Kinder und Immigranten, können daran etwas ändern.
    Wenn schon Schulden machen, warum nicht für solche Vorhaben, die langfristig Entwicklung erzeugen und kurzfristig Krisen meistern helfen? Von den Programmen I und II sind bestenfalls 15 Prozent diesem Ziel gewidmet. Der Rest ist entwicklungsökonomisch ein „Schwarzes Loch“. Unternehmen im 6. Kondratieff stellen Mitarbeiter ein und steigern Forschung und Entwicklung. Setzt Celgene Menschen auf die Straße? Dow Agra stellt weltweit neue Mitarbeiter ein, weil sie diese für die Kommerzialisierung revolutionärer Technologien und Produkte benötigt.[6] Im Ausland lebende Chinesen machen Regierung und Biotechfirmen großzügige Angebote zur Rückkehr in die Heimat: in China expandiert Biotech mit 25 Prozent pro Jahr.
    Zwei Beispiele – und Sachkundige vermöchten Wirksameres vorzuschlagen. Wir illustrieren lediglich. Krankenhäuser, Universitätskliniken, Hochschulen haben riesige Defizite an Maschinen und Geräten für Forschung, Analyse, Entwicklung, Diagnose, Behandlung. Mangel an Geld. Forschung hängt durch, die Anwendung von neuen Erkenntnissen ist ausgedünnt, Diagnose und Therapie von Krankheiten leiden, Kranke sterben oder leiden länger. Was hier also fehlt sind Produkte der Hochtechnologie, bei denen Deutschland, gegenwärtig noch, international mit US-Firmen, mit Japan und China, Schritt halten könnte. Der deutsche Markt stagniert. Wir können alte Autos in Schrott verwandeln (Abwrackprämie). Mit gleichem Aufwand ließe sich ein Hightech-Impuls mit einer beachtlichen Multiplikatorwirkung erzeugen. Viele Krankheiten ließen sich früher erkennen, Behandlungskosten könnten wir sparen, und das Ausmaß chronischer Leiden verringern. Mitnahmewirkungen lassen sich einfach ausschließen, insbesondere wenn Exzellenzzentren, die im Geld schwimmen, nicht zum Zuge kämen.
    Ein zweites Beispiel: Änderung der Abschreibungsregeln, nicht marginal, wie im Konjunkturprogramm I, vielmehr massiv: alle neuen Ausrüstungsgegenstände sofort und voll abschreiben.[7] Der Staat erlaubt Abschreibungen des Goodwills (Geschäfts- und Firmenwerte), entstanden aus spekulativen Engagements von Banken und Konzernen, nahezu unbegrenzt: Förderung des Arbitragekapitalismus, der langfristig nur Geld verbrennt.[8]
    Innovationslogisch wären die Wirkungen beeindruckend: (1) Nur jene Unternehmen machen davon Gebrauch, die Produkte mit guten Absatzchancen im Sortiment haben, also Innovatoren; (2) die Investition erfolgt in neue Ausrüstung, fördert also die Produzenten, welche technischen Fortschritt bei sich selbst und bei den investierenden Unternehmen verwirklichen; (3) keine Besserwisserei; die spontanen Marktkräfte bestimmen, was, wieviel, von wem investiert wird; (4) wie Schumpeter und Maurice Scott[9] seit langem sagen: Investition = Innovation; (5) produktive Mikromultiplikatoren springen an (keine Keynesianischen Löcher aufreißen und zuschütten);(6) da deutsche Unternehmen in diesem Feld (noch) führend sind, wäre die Abwanderung von Impulsen ins Ausland bescheiden; (7) schließlich ist der Liquiditätsgewinn (geringere Steuerzahlungen) zu beachten. Auch diese Maßnahme erfüllte die oben genannten vier Bedingungen.
    Die Chance ist längst vertan. Die Rechtfertigungsmaschinerie für I&II läuft auf Hochtouren. Jene die Vorteile erwarten, jubeln, ihre Stimmen übertönen Skepsis und Kritik.
    Thomas Fricke merkt zutreffend an, „dass es an Beratern und vorbereiteten Konzepten fehlte ... und das ganz neue Beratungsstrukturen“ nötig wären[10], um Obiges zu leisten. Dies zu erwarten ist in Deutschland illusionär. Und die beratenden Ökonomen bringen theoretisch wenig auf die Matte, was die Politik überzeugen könnte, anders zu handeln. Besser third best als Nichtstun. Das Ergebnis ist zunehmende wirtschaftliche Vergreisung, Kaufkraftstagnation für immer mehr Menschen (Ludwig Erhard: „Armut für alle“). Ohne Aufbau neuer Industrien ist Lohnarbitrage unser Schicksal. Immigration beschleunigt den Prozeß. Wer eine Entwicklungsbrille aufsetzt, hat Schwierigkeiten, mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken. Ergebnis:
    A huge wasted opportunity
    The Economist, 12. Februar 2009[11]

    Was bringen die Maßnahmen? Wer weiß es? Hoffnungen. Die ökonomischen Modelle – Entwicklungsenergie ausblendend: Evolution ohne DNA -, sind theoretisch überfordert. Die Krise „läuft“ mehr als ein Jahr. Depression ante portas. Die Politik setzt bis heute auf das, was sie verdammt und im Finanzmarkt gefördert hat: Marktfundamentalismus. Politik ist das Problem, nicht die Lösung. Zu wenig, zu spät – aus unserer Sicht viel Problematisches. Bis es wirkt, irgendwann und irgendwie, lassen wir den Markt seine Arbeit tun. Abgesehen von dem die Rechte und Würde der Menschen verachtenden und totalitären China[12]: Wer hat seine Aufgaben gemacht? Ave Obama & Merkel, die Todgeweihten grüßen Euch.

    [1]
    Edith M. Lederer, No answer at Davos forum to global meltdown, Yahoo Finance, 1. Februar 2009.
    [2]
    Unsere Interpretationen der vorliegenden Ausgabeposten des Konjunkturpakets (Markus Ziener, Republikaner lassen Obama auflaufen, Handelsblatt, 30. Januar 2009, S. 8).
    [3]
    Zirkuliert im Internet: Wenn Schumpeter Kanzler würde.
    [4]
    Schumpeter, Konjunkturzyklen, Göttingen, 2008, Vandenhoeck & Ruprecht.
    [5]
    Röpke & Xia, Reise in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 8. Kapitel.
    [6]
    Groundbreaking Technology Fuels Business at Dow, Inside Indiana Business, 25. November 2008.
    [7]
    Sebastian Dullien hat Vergleichbares in der Financial Times Deutschland, 23. Januar 2009, S. 26: „Ein Schirm, der wirklich schützt“.
    [8]
    Zum Ausmaß in Deutschland, D. Fockenbrock, Jetzt rächen sich teure Zukäufe, Handelsblatt, 19. Januar 2009, S. 12.
    [9]
    Maurice Scott, A new view of economic growth, 1989, Oxford: Clarendon Press.
    [10]
    Thomas Fricke, Jetzt nochmal, Frau Merkel, Financial Times Deutschland.
    [11]
    http://www.economist.com/printedition/displayStory.cfm?Story_ID=13108724
    [12]
    Kevin Hamlin, China’s Economy Shows Signs of Recovery on Stimulus (Update3), Bloomberg. Com, 13. Februar 2009.

    Montag, 2. Februar 2009

    Zur Geschichte eines Deals

    Jochen Röpke, 2. Februar 2009

    Die Karawane zieht weiter, der Ökonom bellt nicht

    Mehr als die Hälfte aller Fusionen und Übernahmen schlägt fehl. Synergiepotentiale werden überschätzt, die strategische Bedeutung eines Erwerbs überbewertet, ein zu hoher Kaufpreisgezahlt. Es ist zwar schwierig, den Erfolg von Fusionen und Übernahmen zu bewerten, da keine Übereinkunft besteht, zu welchem Zeitpunkt zu messen ist und welche Kriterienherangezogen werden sollen. Dennoch: Nach einer Untersuchung des Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers erwirtschaften 80 Prozent der Unternehmen nicht die Kapitalkosten der Transaktion. Eine erschreckende Bilanz, wenn man bedenkt, daß in den vergangenen fünf Jahren auf der Welt etwa 40 000 Fusionen und Übernahmen mit einem Gesamtwert von 5 Billionen [5000 Milliarden] Dollar stattgefunden haben.
    Quelle: FAZ.NET 29.Januar 2001

    Wie die Quellen deutlich machen, ist unser Text schon ein paar Jahre alt. Auch der Fall ist Geschichte. Die ökonomische Logik nicht. Der Text findet sich auch in irgendeiner Publikation von uns, deren Quelle wir auf die Schnelle nicht ausfinden machen können. Word bringt es nicht. Angesichts der jüngsten Verwerfungen auf den Kapitalmärkten, der Tragikomödie Schaeffler-Continental, neuer Megafusionen (Pfizer-Wyeth, 60 Mrd. $), der um sich greifenden Firmenwertabschreibungen zu Lasten der steuerzahlenden Bürger, mag ein Blick zurück, insbesondere für dem deutschen Kulturkreis Verbundene, Geschichte einer unbekannten Zukunft (= Angst) vorziehend, eines bescheidenen Reizes nicht entbehren. Der Text ist an keiner Stelle geändert. Uns interessiert auch selbst, ob acht Jahre alte Gedanken abwrackprämienreif sind. Nur: Wer zahlt für intellektuellen Schrott jenseits von Zitierkartellen?

    Die Fusion von Daimler und Chrysler (Jürgen Schrempp: "Eine Hochzeit im Himmel") entpuppt sich als Kapitalvernichter: "Mercedes gut - Rest wertlos" (Spiegel.Online, 27.10.2000; "Das Daimler-Desaster": Spiegel 48/2000)- wie vorher schon der Aufkauf von Rover durch BMW, die Fusion Thyssen und Krupp, usw., eine Kette der Kapitalvernichtung ohne Ende? Wer schützt das Management vor sich selbst, die Erosion von Innovation durch Arbitrage? Das Problem sind nicht "Fehlentscheidungen". Bei Marktturbulenz und Unsicherheit sind solche unvermeidbar. Die grundsätzliche Frage ist, ob ein bestimmter Typus von Entscheidung - wie internes versus externes Wachstum - der Entscheidungsfreiheit und damit auch dem Ego von angestellten Managern zu überlassen oder die Entscheidungskomplexität in anderen Teilsystemen der Gesellschaft, insbesondere dem Rechtssystem, zu behandeln ist. Beispielsweise durch die Rechtsregel: Fusionsverbot. Dadurch würden wertevenichtende Interaktionen, eine Kopplung zwischen Arbitrage- und Innovationssystem zumindest im Bereich des Handels von Unternehmenskontrollrechten eingeschränkt. Daß derartige Regelungsversuche marktlicher Interaktionen einer von den USA sich ausbreitenden libertinösen Welle dem Wettbewerb eines anything goes entgegenstehen, ist eine andere Sache. "... es kann nicht Aufgabe der Wettbewerbspolitik sein, Unternehmen und ihre Anteilseigner vor, im Durchschnitt verlustbringenden oder doch zumindest wenig lohnenden Verhaltensweisen, zu bewahren" (Kleinert, Jörn/Klodt, Henning, Megafusionen. Trends, Ursachen und Implikationen. Kieler Studien 302. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 73).
    Volkswirtschaftlehre als shareholder value management? Aus der Logik von Routine und Arbitrage ist diese Folgerung konsequent. Die Durchsetzung einer Arbitragetransaktion wird routineökonomisch aufgearbeitet.


    "Unser Ziel ist und bleibt es, der führende und profitabelste Automobilhersteller der Welt zu sein. Mit freundlichen Grüßen Daimler Chrysler AG" (Aktionärsbrief, Dezember 2000).

    Eine mögliche Kapitalvernichtung ist als inputlogischer Preis unternehmerischer Freiheit zu akzeptieren. Die gleiche Verhaltensweise bzw. Unternehmensstrategie (externes Unternehmenswachstum) hat aber auch - im Sinne von Wilber - "tiefere" Konsequenzen: ihre Auswirkung auf Innovation und Evolution. Daß diese sich routine- und arbitrageökonomisch nicht konstruieren lassen, ist kein Grund, sie für eine Evaluierung der Systemfolgen bestimmter Handlungsmuster außen vor zu lassen. Können wir die Komplexität der Innovationswirtschaft und die hedonistische Reizung der Egos der beteiligten Akteure arbitrageökonomisch auffangen, die Akteure im Meer der Komplexität ertrinken und auf den Klippen ihrer Egos zerschellen lassen? Die grundlegendere da funktional tiefere Problematik von Zusammenschlüssen und Übernahmen ist die Beschränkung des potentiellen Innovationswettbewerbs durch eine strategische Präferenz von "buy" (Kauf von Marktanteilen) anstelle von "make" (Selbstschaffung), Kauf von Technologie anstelle von Selbstentwicklung, usw.). Evolutionsökonomisch signalisiert der "Kauf" die Stabilisierung einer negativen Anreizstruktur für unternehmerische und organisatorische Selbstevolution. Kompetenzschwächen werden tauschökonomisch be/ge-handelt, nicht selbstevolutorisch geheilt. Der Aktionsparameter Macht kann sich im Unternehmen und im Markt frei ausleben, bleibt ethisch, kommunikativ und wettbewerbspolitisch ungezügelt (Der neue Chrysler-Chef "Zetsche schockt die Zulieferer". Spiegel Online. 8.12.2000). Bedeutet shareholder value management diejenigen für Unternehmensentscheidungen bezahlen zu lassen, die keine Verantwortung für Entscheidungen tragen: Arbeitskräfte, Lieferanten, Kunden, Steuerzahler?
    Um sich nach dem Debakel mit Chrysler vor einer feindlichen Übernahme zu schützen, erarbeiten die Deutsche Bank und JP Morgan ein dreistufiges Verteidigungskonzept von bemerkenswerter Schlichtheit (1. Stufe: den Kurs der Aktie steigern; 2. Stufe: Chrysler verkaufen; 3. Stufe: den größten Mehrwert für die Aktionäre durch einen Verkauf von Daimler an den höchsten Bieter erzielen). Arbitrage pur.
    (Quelle: Spiegel Online, 3. Februar, 2001: Spekulationen um die Ablösung Schrempps).

    Montag, 19. Januar 2009

    Redundanz und der Untergang des Kapitalismus

    12. Januar 2009

    Kazue Haga & Jochen Röpke

    Redundanz ist kommunikativ negativ belegt.[1] Es meint Überflüssiges, Verzichtbares, Nichtbenötigtes, Redundantes eben. Was redundant ist, müssen wir wegmachen, wegkoordinieren, verzichtbar machen. Es verschwendet nur Ressourcen, steht dem Optimieren im Wege, ist mit dem Optimum unvereinbar, ist irrational. Die EU ist unser aller Segen, weil sie dieses leistet.
    Politik versucht sich daher in der Koordinierung von Maßnahmen, bloß nichts Redundantes auf den Weg bringen. Parallel laufende Forschungen und Entwicklungen, in Wissenschafts- und Wirtschafts- und Religionssystemen, gelten seit Alters her als suspekt. Verschwendung von Ressourcen im Innovationssystem, laßt uns die Wissenschaft in Exzellenzzentren und Netzwerken koordinieren (danke McKinsey), die Imame sagen ihren Gläubigen: wer Anderes glaubt, als das was der Koran und die mündlichen Überlieferungen des Propheten PUBH sagen (so wie wir ihn konstruieren), muß mit dem Schlimmsten rechnen, den Tod eingeschlossen.
    Der Ökonom kultiviert die optimale Allokation, das Gleichgewicht als irdisches Nirwana: ein redundanzloses System. Und ohne Redundanz ist es ein totes System, entwicklungs- und evolutionslos. Betriebswirte und Investmentbanker fördern den Redundanzabbau, wenn sie Aufkäufe und Fusionen als Weg zum Heil der Shareholdervaluemaximierung durchsetzen. Der Sachverständigenrat führt es uns jährlich vor. Biologen beschäftigen sich intensiv mit dem Tod von organischen Systemen. Gehen wir auf den Kern der Sache, sagen sie: nimmt die Redundanz ab, baut der Organismus ab. Im Tod ist der Körper, seiner Redundanz verlustig, wie die Wirtschaft im Gleichgewicht, ohne Leben.[2] Wer Leben will, in jedem System, muß Redundanz zulassen, erhalten, steigern. Redundanzreiche Systeme verschwenden, müssen vom Optimum Abschied nehmen, sogar ihre Homöostase (nach griechisch homoios für ähnlich, gleichartig und stasis für Zustand) überwinden, Homöodynamik kultivieren. Für Ökonomen wie Adam Smith und F.A. Hayek oder Philosophen wie David Hume war das selbstverständlich. Der moderne Ethiker läßt solange den Diskurs pflegen, bis die Redundanz verflüchtigt ist. Die Freiheit auch. Josef S. wußte Bescheid: „Menschen weg, Probleme weg.“ Hayek setzt auf dezentrale Koordination, ein Entdeckungsverfahren: Jeder ist frei zu entdecken, sich anzupassen, zu innovieren, wie er will und kann. Schumpeter bringt die Redundanzlogik auf den Punkt: Ein System - jedes System, nicht nur jedes Wirtschaftssystem, sondern auch jedes andere -, daß zu jedem gegebenen Zeitpunkt seine Möglichkeiten möglichst vorteilhaft ausnützt, kann dennoch auf lange Sicht hinaus einem System unterlegen sein, das dies zu keinem gegebenen Zeitpunkt tut, weil diese seine Unterlassung eine Bedingung für das Niveau oder das Tempo der langfristigen Leistung sein kann. (Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie, 1950, S. 138.) Entwicklung und Gleichgewicht, beides in unserm Sinne genommen, sind also Gegensätze, die einander aus­schließen (Die Theorie wirtschaftlichere Entwicklung, 1911/2006, S. 489). Nahezu alle Unternehmen gehen den Weg biologischer Systeme: vom Leben (durch Innovation) zum Tod (durch schöpferische Zerstörung). „ .. der natürliche Grund [daoistisch: ziran, von selbst so] ist … eben ihre Unfähigkeit, das Tempo der Innovation aufrechtzuerhalten, das sie zur Zeit ihrer Jugendkraft nicht zuletzt durch ihre eigene Mitwirkung gesetzt haben“ (Schumpeter, Konjunkturzyklen, Göttingen, 2008, S. 103). Die Schumpeterzitate machen die Funktion von Redundanz im Leben von Systemen deutlich, sei es gesundheitlich, [3] sei es emotional, sei es kommunikativ. Diese Überforderung des Hörers … kann vermieden werden, wenn Sie zwischendurch immer wieder Redundanz sprechen, also Nachrichten, die der Hörer schon kennt, und die deshalb nicht im Ultrakurzzeitgedächnis abgeprüft werden müssen. Zur Redundanz gehört auch das Wiederholen von bereits Gesagtem mit anderen Worten. Wichtige Nachrichten kann man zwei- bis dreimal wiederholen.[4] Redundanz in der Kommunikation, in der Entwicklung bei Schumpeter, in der Theorie des biologischen Alterns von Organismen, in der Systemtheorie von Niklas Luhmann, schafft Potentialität. Etwas ist überflüssig (zu einem bestimmten Zeitpunkt), gleichzeitig aber auch nicht überflüssig, beim Menschen und seinen Systemen, potentielle Quelle neuer Vielfalt. Das Gehirn des altersverwirrten Menschen und Unternehmens verliert an Redundanz und mit ihr an Möglichkeiten, neue Vielfalt hervorzubringen. Es geht den Weg der Regression oder Involution.
    Soviel zur Einleitung. Nunmehr zum Anlaß unseres Blogs, einem Interview von Jordan Mejias mit Nassim Nicholas Taleb[5]. Taleb ist der Erfinder des Schwarzen Schwans – ein Symbol für das Auftreten singulärer Ereignisse großer Tragweite, nicht vorhersehbar, nicht kalkulierbar. Er wendet es auf Investitions- und Anlageentscheidungen an und zeigt, warum Investmentprofessionals so oft daneben liegen (müssen). Die Finanzkrise und der sich noch vollziehende Untergang des „neoliberalen“ Finanzkapitalismus sind nach Taleb Folgen des Wirkens Schwarzer Schwäne.

    Taleb in Aktion Auf Youtube

    Warum stürzt die Wirtschaft, weltweit, gerade jetzt ab?

    Jetzt ist die Wirtschaft abgestürzt. Warum erst jetzt?
    Weil auch die Zufälligkeit eine gewisse Struktur hat. Vergleichen Sie nur die Natur und die Finanzwelt. Die Natur ist unbeständig, aber verhält sich insofern artig, als sie ihre Eigenschaft recht schnell offenbart. In der Finanzwelt, also in einer konstruierten Welt, kann hingegen lange Zeit alles ganz gut gehen, bis plötzlich die Riesenüberraschung da ist. Ökonomen bezeichnen dies als exogenen Vorfall und behaupten, es sei unmöglich, ihn zu untersuchen.

    Woher kommen denn nun die Probleme kapitalistischer Systeme?
    Der größte Fehler des Kapitalismus besteht darin, dass er die Leute zwingt, sich nach den Analysten (und den sie beratenden, betreuenden, belehrenden Paradigmatikern) zu richten. Wenn eine Bank sich geweigert hätte, mit Subprimes, mit minderwertigen Darlehen, zu handeln, hätte sie zumachen können. Analysten hätten sie heruntergestuft, weil sie weniger Profit als die Konkurrenz machte. Die Börse ermuntert die Leute, Risiken einzugehen, die von den Analysten nicht entdeckt werden. Ich habe immer gesagt, das Bankensystem stecke voller verdeckter Risiken, und immer wurde mir gesagt, ich liege falsch. Ben Bernanke, der Notenbankchef, bezeichnete das System als stabil. Jemand hat mir damals (2002, Anmerkung von uns) geheime Bilanzen vorgelegt […]. So enorm waren die Risiken, die in dieser Zeit eingegangen wurden. Auf meine Frage, wie da Katastrophen zu vermeiden wären, bekam ich die Antwort, solche Katastrophen habe es in der Vergangenheit nie gegeben. Wie kommt nun Redundanz in das kapitalistische Spiel? Der Kapitalismus ist auf Risiken aus. Er vermeidet Redundanzen, weil er sie als ineffizient erachtet. Was will ich damit sagen? Neunzig Prozent meines Geldes sind Bargeld. Kommt es zu einer Krise, kann mir das egal sein. Die Leute aber sagen mir: Es ist nicht effizient, so viel Bargeld zu haben. […] Der Kapitalismus zwingt uns zum Überoptimieren, die Biologie aber nicht. Nehmen Sie die Fortpflanzung. Menschen haben ihr Leben lang Geschlechtsverkehr und produzieren im Durchschnitt nur 2,2 Nachfahren. Das ist ineffizient, nicht wahr? Biologie und langlebige Systeme sind überaus redundant. Wenn der Kapitalismus überleben will, muss er folglich redundant sein. Was er nicht ist. „Was er nicht ist.“ Nicht immer. Nicht jeder Typ von Kapitalismus. Routine- und Arbitragekapitalismus beißen irgendwann ins Gras – wenn sie tieferen Formen (Innovation und Evolution) ausgesetzt sind – allerdings nicht ohne, in wildem Umsichschlagen, letzteren noch tiefe Wunden, nur keine tödlichen, beizufügen. Vielleicht rollen uns die Chinesen auf, wie die Westwelt, auf Terrorbekämpfung fixiert, mit Erschrecken, rechtzeitig zu Neujahr, zur Kenntnis nehmen muß[6] - wenn es ihnen gelingt, redundant zu bleiben. Abertausende von Mikrorebellionen, sprich: Redundanzstabilisierer, gehören zur Natur des chinesischen „Regimes“. Das Denken von Taleb ist nahe an der Schumpeterlogik. Und es korrespondiert mit dem Denken von Forschern, die sich mit der Langlebigkeit von Menschen, sogar ihrer potentiellen Unsterblichkeit beschäftigen (Aubrey de Grey, Robert Freitas, Ray Kurzweil, http://www.fight/aging). Was nur funktioniert, wenn sie ihre Redundanz erhalten. Ein permanent redundantes System stirbt nicht. Ein permanent redundantes Unternehmen auch nicht, außer der Staat reguliert und besteuert es zu Tode. Was aber nur heißt: dem Unternehmen seine Redundanz zu rauben. Was einigen Weisheitslehren aus dem Osten, denen wir „strictissime“, als Anarchieverachter, nicht zustimmen können, zu dem Schluß führt: Wenn jemand dich deiner Redundanz berauben will, darfst du rebellieren, Verfassung hin oder her. Was auch zeigt, daß diskursethische Deliberationen dieser Frage nicht weiterhelfen. Bis der Diskurs gelaufen ist, ist die Redundanz weg. Oder ein nicht-redundantes Diskursdiktat zwingt uns Redundanzarmut auf.

    Wir leben doch in einer Wissensgesellschaft, wieso sind wir dann nicht in der Lage, mit unserem vielen Wissen die Probleme die wir haben, auch mit den Schwarzen Schwänen, Lissabon-strategisch oder sicherheitstechnologisch rational umzugehen? Wir alle haben keine Ahnung, wie mit Wissen umzugehen ist, und wir überschätzen uns dabei. Ich bin dennoch nicht fortschrittsfeindlich. Aber ich versuche, gegenüber Irrtümern, die aus Wissen entstehen, so robust zu sein wie nur irgend möglich. Das ist meine Richtlinie. Oder wie F.A. Hayek sagt: Es spricht vieles dafür, daß diejenigen, die einfach nach Glück [Gewinn, Macht] strebten, von jenen überwältigt sein müssen, die nur ihr Leben erhalten wollten. … Evolution kann nicht gerecht sein.[7]

    [1]
    „Redundanz“ (latein. redundare „im Überfluss vorhanden sein“) bezeichnet allgemein das mehrfache Vorhandensein funktions-, inhalts- oder wesensgleicher Objekte“ (Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Redundanz).
    [2]
    Mehr dazu in Haga & Röpke, 2007. „Redundanz, Altern, Innovation“.
    [3]
    Haga & Röpke, Redundanz, Altern, Innovation.
    [4]
    Harald Scheerer, Wie Sie durch Ihr Sprechen gewinnen, München: Langen-Müller/Herbig, S. 51
    [5]
    Banker weg, wir brauchen eine Revolution!, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.08, S. 33, auch unter: FAZ.
    [6]
    Brigitte Perucca, Recherche: la Chine en passe de combler son retard, Le Monde, 1. Januar 2009, S. 4.
    [7]
    F.A. von Hayek, Die verhängnissvolle Anmaßung, Tübingen 1996: Mohr-Siebeck, S. 72; 79.

    Mittwoch, 7. Januar 2009

    Eine schöne Bescherung

    Zur Involutionsdynamik von Aufkäufen und Fusionen

    Jochen Röpke 31. 12. 2008

    Just zu dem Zeitpunkt, als die „Finanz/ Realwirtschaft-Krise“ deutlich sichtbar ihr Potential zu entfalten beginnt, versucht die „mittelständische“ Schaefflergruppe die etablierte Continental AG zu übernehmen. Sie verpflichtete sich, für eine Continentalaktie 75 Euro zu zahlen (Marktpreis am 22. Dezember 2008: 32 Euro). Continental stand beim Angebot von Schaeffler bereits auf wackligen Beinen, weil der (damalige noch) Dax-Wert sich von der Siemens AG dazu überreden ließ, deren VDO-Sparte, tätig als Elektro-Zulieferer für die Automobilindustrie, zu kaufen, die Siemens vor einigen Jahren sich selbst angeeignet hatte. Conti finanziert VDO durch neue Schulden. Schaeffler mußte, um den Deal zu stemmen, 16 Mrd. Euro an Krediten aufnehmen. Wer bislang einzig verdient hat: die Dealmaker (Investmentsbanken, Berater). Wer von den beiden verliert, wird sich zeigen, höchstwahrscheinlich zahlen beide, plus die Steuerzahler, massiv drauf. Wer auch verliert, so unsere Vermutung, ist die deutsche Volkswirtschaft, der „Standort“. In der Diskussion spielt er keine Rolle. Wie zu erwarten, winkt die Wettbewerbsbehörde, der Europäischen Union, den Deal durch.
    Bei unserer Evaluierung lassen wir uns an dieser Stelle nicht auf die betriebswirtschaftliche Logik des Aufkaufs ein. Hier herrschen die Argumente, die wir alle kennen, und die offensichtlich nicht durchschlagend genug sind, um Fehlinvestitionen großen Ausmaßes zu verhindern. Die Ansätze zum strategischen Managements liefern außer Leerformeln wenig was helfen könnte[1], und das Investmentbanking, kognitiv ohnehin ausgedünnt, verfolgt seine eigenen Interessen. Das Management ist auf seine persönliche Kompetenzstruktur zurückgeworfen, um unternehmensstrategisch zu agieren und wie so oft, um nicht zu sagen, in der Regel, Finanzkapital zu verbrennen manchmal auch den eigenen Untergang einzuleiten.

    Die Literatur zeigt zur Genüge, daß M&A selten Nettovorteile erzeugen. Das Dealmaking dennoch für das Topmanagement eine so hohe Anziehungskraft besitzt, hat wenig mit der innovativen Erschließung zukünftiger Wertschöpfungspotentiale zu tun. Dann wären Firmen wie die Allianz und Daimler und Siemens längst im Himmel der unsterblichen Seelen des Kapitalismus. Im Kern: Aufkauf & Fusion reflektieren (auch, nicht immer) Innovationsschwäche und diese ein Ausdünnen unternehmerischer Energie. Sie erzeugen aber auch, was sie reflektieren: Innovationsarmut, im Unternehmen, in der Volkswirtschaft. Beide wirken sich wechselseitig verstärkend.
    Man könnte nun sagen, es ist doch Sache der Firmen, zu machen was sie wollen – wenn sie durch ihr Tun den Wettbewerb nicht beschränken. Das sagt auch ein (liberales) Wettbewerbskonzept. „Ob ein Handeln gut oder schlecht ist, hängt nicht von den damit verfolgten Zwecken ab, sondern von den dabei beachteten Regeln“. [2]
    Was heißt aber hier Wettbewerb? Worin könnte eine Beschränkung des Wettbewerbs, insbesondere des innovativen und evolutiven liegen? So wie die EU ihn definiert, läuft fast alles. Ohne Unterscheidungen zwischen wettbewerblichen Funktionen (Routine/Allokationseffizienz; Arbitrage/Ausnutzen von Bewertungsunterschieden; Innovation/Neukombination von Ressourcen; Evolution/Fähigkeitsaufbau) darben Beobachter, Akteure und Mandarine im theoretischen Sumpf. Aufkäufe und Fusionen sind primär Arbitragestransaktionen. Wie wirken sie auf den Wettbewerb? Welche Folgen haben sie für bestehende und neue Unternehmen? Insbesondere, und langfristig die entscheidende Perspektive: Wie wirken sie auf Innovation und Kompetenzentfaltung? Wenn wir M&A frei laufen lassen, was sind deren wettbewerbliche Folgen für die tieferen Funktionen, ohne welche die Marktwirtschaft, auch die soziale, vor die Hunde geht, in die Stationarität abgleitet?
    Der potentielle Innovations- und Evolutionswettbewerb ist durch solche Transaktionen eingeschränkt. Wenn Schaeffler den Markt, in dem Conti zu Hause ist, für so attraktiv hält, warum erschließt die Gruppe ihn nicht durch internes Wachstum – und macht damit Conti zukünftige Konkurrenz? An Geld konnte es nicht fehlen, wenn man 16 Milliarden für die Übernahme mobilisieren kann. Die Antwort liegt auf der Hand. Vordergründig: Es rechnet sich, scheinbar. Das dachte auch Herr Merkle als er, als Arbitrageur sich verwirklichend, den Niedergang seines Imperiums betreibt. Das denkt auch – immer noch: Wallstreet und The City – Hauptstädte des angelsächsischem Finanzkapitalismus. „…der natürliche Grund ist .. eben ihre Unfähigkeit, das Tempo der Innovation aufrechtzuerhalten, das sie zur Zeit ihrer Jugendkraft nicht zuletzt durch ihre eigene Mitwirkung gesetzt haben“ (Schumpeter, Konjunkturzyklen, 2008, S. 103). Die gleiche Frage stellt sich für Contis Kauf von VDO. Man vergleicht: was bringt uns die hochunsichere Eigenentwicklung von Innovationspotentialen im Vergleich mit relativ gut kalkulierbarem M&A? Die eigene (auch zukünftige) Innovationsleistung und die eigenen (auch zukünftigen) Innovationsfähigkeiten werden auf die Gegenwart abdiskontiert. „Auf Schaefflers Seite heißt es, alles sei gut durchkalkuliert“. [3] Der Verlierer steht fest. Für die Berechnung echter Unsicherheit existiert keine mathematische Formel. Etablierte Managementkulturen verdrängen Radikalität zugunsten des großen Deals. Descartes mutiert: I shop, ergo I am. Die Medien jubeln. Und wenn dann später zwei Kulturen zu integrieren wären (Conti und Schaeffler), liegt Innovation und Fähigkeitsaufbau für Jahre auf Eis. Streß schlägt Innovation. Gravierend für die volkswirtschaftliche Dynamik ist die Beschränkung des Innovationswettbewerbs. Das gilt für beide Firmen. Hätte Schaeffler durch internes Wachstum Conti Konkurrenz gemacht, hätte Letzterer dem Angreifer nur durch Innovationen Paroli bieten können. Und Innovation im globalisierten Kapitalismus bedeutet immer: Stärkung und Aufbau von eigenen Fähigkeiten.
    Continental hatte vor – in Zusammenarbeit mit Daimler Benz und Evonik – in neue Batterietechnologien zu investieren, welche Elektroautos brauchen. „Geldmangel bremst Conti aus. Ausgerechnet Investitionen in Schlüsseltechnologien kann sich der bedrängte Zulieferer derzeit kaum leisten.“[4] „Ausgerechnet Investitionen“ ! Natürlich nicht. Gerade „Investitionen in Schlüsseltechnologien“, vollständig der Logik des kapitalistischen Wettbewerbs folgend, leiden. Wer investiert, überladen mit Schulden, in hochungewisse Innovationen? Der Staat müßte hier schon Beistand leisten, was er sicherlich auch tun wird, angesichts der hohen Anerkennung der immer noch als Zukunft gehandelten Automobilbranche durch die classe politique.
    Was daraus folgt: Der deutsche Standort wird in der Innovationskonkurrenz zurückgeworfen. Irgendwann wird der Steuerzahler zuschießen. Japan ist in der Batterietechnologie, unverzichtbar für neue Generationen von Antrieben, führend, China holt schnell auf und sichert sich zunehmend die erforderlichen Rohstoffe (seltene Erden/Metalle). Die deutsche Automobilindustrie hat ohnehin einen Spätstart in dieser Schlüsseltechnologie, ohne welche Automobile der Zukunft nicht auskommen. Arbitragefreiheit erodiert Innovation und Wertschöpfungspotential. Die sogenannte „Krise“, von wem und von was auch immer bewirk, belegt diese Vermutung. Interessenvertreter wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sehen es anders. Forschung und Entwicklung werden es richten.[5] Wir kennen das von Detroit. Und schon greift die „Angst vor einem deutschen Detroit“[6] um sich. F & E kann Niedergang und Stagnation einer Industrie nicht aufhalten. Fachkräfte auch nicht.
    All dies ist Standard der Wettbewerbstheorie. Auch Lösungen der obigen Problemlage kennen wir. Im Kern geht es darum, daß Management vor eigenen und extern eingeredeten Fehlentscheidungen zu schützen. Aufkäufe und Fusionen beschränken nahezu durchgängig Wettbewerb und Innovation. Die einfachste und härteste Regel: Fusionsverbot (Ausnahme bei ansonsten untergehenden Firmen). Auch Entflechtung kann helfen. In früheren Blogs haben wir weitere Maßnahmen vorgeschlagen, etwa Begrenzung oder Verbot von Abschreibungsverlusten aus Finanztransaktionen, damit eine stärkere wenn nicht vollständige Internalisierung (Zurechnung) von Verlusten im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis, welche Verluste aus M & A sozialisiert. In der Kreditkrise wird Banken alles Mögliche vorgeworfen und verboten. Jenseits der Finanzmärkte herrscht eine vergleichbare Praxis, die selten in Frage gestellt ist. Schieflagen auf den Finanzmärkten wirken zwangsläufig auf die „Realwirtschaft“ und treffen jene am härtesteten, die sich auf die Abenteuer von spekulativer Arbitrage einlassen. Die komplexitätsarmen Rationalmodelle von Managementwissenschaft und Investmentbanking sind überfordert. Für Konjunkturtheoretiker jenseits von Keynes sind es notwendige Ursachen, warum kapitalistische Systeme von Rezession Schumpeter im „sekundäre“ und prinzipiell vermeidbare Depressionen laufen (Schumpeter, Konjunkturzyklen; dazu Siemon 2008).
    Wenn wir es mit Systemen hoher Komplexität und Unsicherheit zu tun haben, wie wir sie im modernen Kapitalismus vorfinden, sagen uns die schottischen Aufklärer Ferguson, Smith, Hume (im eigenen Land als „Ideologen“ und „Moralisten“ und „säkular Religiöse“ abgetan[7]) und ihre zeitgenössischen Vertreter (F.A. Hayek), auch die moderne Systemtheorie (Luhmann): arbeite mit allgemeinen Regeln, denn sie reduzieren Komplexität und Unsicherheit. Eine solche Regel wäre: laßt uns M&A verbieten, durch Regeln zähmen, laßt uns Management einschließlich Investmentbanking vor ihren eigenen, unvermeidbaren Fehlern (Komplexität, Unsicherheit) und unbewußten, oft instinktnahen (auch in unserem Fall beobachtbaren) Inkompetenzen schützen. Auch der Steuerzahler wird es uns danken, der für fiskalstaatliche Geschenke an die Managerklasse und Imperiumsarchitekten aufkommen muß.
    Auf ein Problem mit dieser Sichtweise, aus der Sicht einer evolutionären, nicht der paradigmatischen vorherrschenden Wettbewerbstheorie, gehen wir in einem nachfolgenden Blog noch ein. Bedeutet nicht das Vorgeschlagene, die Vielfalt marktwirtschaftlicher Ordnung zu beschränken, Besserwissen an die Stelle einer Ordnung des Unbekannten zu setzen und damit zu verhindern, daß wir das „System“ veranlassen, sich selbst zu ordnen? Schließlich erklären wir einem Typus von Arbitrage den innovations- und evolutionspolitischen Widerstand. Die neoklassische und finanzkapitalistische Kritik müssen wir theoretisch nicht so ernst nehmen. Paradigmen werden geboren um zu sterben.
    Was wir für den Augenblick vorschlagen: (1) Regelsetzung ist ein notwendiger Bestandteil von Innovations- und Entwicklungspolitik. (2) Regeln sind ein Produkt der Evolution. Im Übrigen zeigte uns das Vereinigte Königreich UK den WEG. Eine Arbitrageökonomie. Eunuchisiert. Financial services (Investmentbanking) als Schlüsselbranche. Keynes sagt uns, was zu tun ist. Die „Premier league“, von russischen Arbitrage-Oligarchen alimentiert, spielt auch an Weihnachten. „Alternative säkulare Religionen“ (Martin Wolf) überlassen wir den Gläubigen der „moral sentiments“ (Adam Smith). Das ein Wolf und ein Brown-Bär ihre Fassung verlieren, läßt sich verstehen, auch ihre Reinkarnation von Keynes, aus Gründen, die er nicht vorsah. Die Briten machen jetzt Schulden im Umfang von sieben Prozent ihres BSP. Martin Wolf hatte möglicherweise noch Hayek in seinem unbewußt operierenden Langzeitgedächtnis: „Nur ein praktizierender Immoralist [J.M. Keynes] konnte allen Ernstes politische Maßnahmen mit der Begründung befürworten: ‚Auf lange Sicht sind wir alle tot’“. [8] Hätten Continental und Schaeffler sich nicht auf die grandiosen Aufkäufe eingelassen, wie gut (wie weniger schlecht) stünden sie heute da? Für Jahre hinaus werden beide leiden: mit ihnen Mitarbeiter, Standorte, Wettbewerb, Innovationsdynamik – wenn die Aktionäre leiden, sind sie selbst schuld. Die Banken genauso. Nur die Vertreter des Gewaltmonopols des Fiskalstaates sind gut raus. Entweder sie lassen zahlen (uns) oder sie lassen retten (bringt Stimmen).

    Theoretische Grundlagen

    Röpke, Die Strategie der Innovation, Tübingen: Mohr-Siebeck, 1977. Röpke, Externes Unternehmenswachstum im Evolutionsprozeß, in: Ordo, Band 41, 1990, S. 167-189. Joseph A. Schumpeter, Konjunkturzyklen, Neudruck: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008. Cord Siemon, Schumpeters Konjunkturzyklen: Eine Einführung, in: Schumpeter, Konjunkturzyklen, Göttingen 2008, Vandenhoeck & Ruprecht.
    [1] Ein hartes Urteil, das wir den Leser bitten, ohne viele Belege, die leicht aufzutreiben sind, zu akzeptieren. Siehe, zu einem jüngeren Beitrag, was die „managerial implications for incumbents (etablierte Unternehmen)“ angeht, Luca Berchicci & Christopher L. Tucci,: Entrepreneurship, technology and Schumpeterian innovation: entrants and incumbents, in: Mark Casson u.a.: The Oxford Handbook of Entrepreneurship, Oxford University Press, 2008, Kapitel 13.
    [2]
    F.A. von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung, Tübingen 1996: Mohr-Siebeck, S. 87.
    [3]
    Kristina Spiller, Dossier: Wo Frau Schaeffler steht, Financial Times Deutschland, 22. Dezember 2008.
    [4]
    Handelsblatt 22. Dezember 2008, S. 14.
    [5]
    „Mehr Geld für die Forschung“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 2008, S. 11.
    [6]
    Rüdiger Soldt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Dezember 2008, S. 14.
    [7]
    Martin Wolf, Keynes offers us the best way to think about the financial crisis, The Financial Times, 23. Dezember.
    [8]
    F.A. von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung, Tübingen 1996: Mohr-Siebeck, S. 90.

    Phelps, Finanzkrise und die Frage: „Wer finanziert den 6. Kondratieff“?


    von Cord Siemon (1. Version:28.11.2008; update: 03.01.2009)

    In der Spiegel-Ausgabe Nr. 46 vom 10.11.2008 kommen fünf Wirtschafts-Nobelpreisträger in dem sehr lesenswerten Beitrag „Neues Denken nötig“ (S. 64-69) zu Wort, die angesichts der schwelenden Finanzkrise und Rezessions-/Depressionsängste Antworten auf die Frage nach einer künftigen Weltfinanzordnung geben. Neben Robert E. Lucas, Reinhard Selten, Joseph E. Stiglitz und Paul A. Samuelson gibt Edmund S. Phelps ein interessantes, lesenswertes Statement, welches wir im Folgenden (auszugsweise) kurz vorstellen und kommentieren möchten.[1] Ein grundlegendes Problem, dem sich die Regulierungsdiskussion stellen muss, ist die Frage, welche Funktion die Bankenindustrie für die Gesellschaft übernehmen soll. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die Banken zunehmend versucht, mit Eigenheim- oder gewerblichen Hypotheken Geld zu verdienen. Da sich dies als schwierig erwiesen hat, müssen die Banken in Zukunft entweder ihr Kreditvolumen insgesamt reduzieren oder einen Teil der Kredite an die Unternehmen umlenken. Leider scheinen die meisten Banken die Expertise für Firmenkredite oder Investitionen verloren zu haben – für die sie in den sagenhaften Jahren der Investmentbanken wie etwa der Deutschen Bank und J.P. Morgan bekannt waren. Könnte es den US-Großbanken gelingen, diese Expertise zurückzugewinnen? Es scheint wahrscheinlich, dass streng regulierte Banken keine ideale Quelle für die Finanzierung von Geschäftsinvestitionen sind, vor allem von innovativen Geschäftsideen. Eine natürliche Quelle für junge Start-up-Unternehmen sind wohlhabende „Erbonkel“, sogenannte Business Angel, die mehr von jungen Unternehmern verstehen als es ein Banker je könnte. Ein anderer natürlicher Geldgeber sind Risikokapital-Finanziers, die selbst einen Hintergrund als Unternehmer haben und junge Firmen beraten und finanziell unterstützen können. Auch manche Hedgefonds sind kreativ, wenn es darum geht, innovative Projekte zu finanzieren. Es ist eindeutig nicht im Interesse einer Gesellschaft, wohlhabende Anleger, Risikokapitalgeber und Hedgefonds zu regulieren, die in kleine oder neue Firmen in-vestieren oder ihnen Geld leihen. Wenn eine Gesellschaft diesen Fehler begeht, wird ihre Innovationskraft leiden, werden der Lohn der Arbeit und das Angebot von Jobs leiden. Phelps ist bekannt als Makroökonom, der nach seiner Nobelpreis-Ehrung 2006 offenbarte, dass er sich verstärkt schumpeterschen Themen zuwenden werde, da er die Vertiefung der mikro- und makroökonomischen Zusammenhänge von Innovation, Gründung, Finanzierung etc. für den Themenkomplex Entwicklung/Wachstum für ein besonders bedeutsames Forschungsfeld hält. In seinem Interview zeigt sich m.E. eine wohltuende Weitsicht, mit der er die aktuell schwelende Diskussion zur Regulierung der Finanzmärkte beurteilt. Ordnungsökonomische Eingriffe mögen hier heilende Wirkung haben, gleichzeitig dürfen die langfristigen Folgewirkungen für die wirtschaftliche Dynamik nicht außer Acht gelassen werden, insbesondere wenn man den konjunkturtheoretischen Ideen von Schumpeter (und seinen Anhängern) nahe steht. Da ist zum einen die zerstörende, weil Krisen auslösende Staatstätigkeit, welche bspw. die Folgewirkungen einer wohlgemeinten Geldpolitik nicht berücksichtigt und damit einen „irrationalen Überschwang“ (Robert Shiller) eingeleitet hat.[2] Da ist zum anderen die subtilere Zerstörungswirkung, die damit einhergehen kann, dass durch die Regulierung die langfristigen Voraussetzungen für Innovationshandeln und damit für Entwicklung/Wachstum blockiert werden. Hier setzt auch Phelps an: Wirtschaftliche Dynamik entsteht aus dem Zusammenspiel realwirtschaftlicher Innovatoren und finanzwirtschaftlicher Unternehmerleistungen, welche die Potenziale einer Neukombination erkennen und finanzieren dürfen, können und wollen.[3] In der aktuellen Diskussion um die Regulierung der Finanzmärkte rückt dieser, angesichts der nahenden sechsten großen, möglichweise 50-60 Jahre andauernden Innovationswelle (6. Kondratieff[4]) sehr bedeutsame Aspekt m.E. zu sehr in den Hintergrund. Zu stark steht das keynesianische Krisenmanagement im Vordergrund, um die makroökonomischen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Aufschwungsmanagement zu schaffen. Neben der Bereitstellung gewaltiger Summen und Bürgschaftszusagen zur Wiederherstellung der Vertrauensbasis zum und im Bankensystem sowie zur Stabilisierung der Eigenkapitalbasis der Kreditinstitute – eine Wissenschaft für sich! – wurde auch der aus der Weltwirtschaftskrise resultierenden (scheinbaren) Erkenntnis Rechnung getragen, dass eine expansive Geldpolitik notwendig ist, um die Geldversorgung einer Volkswirtschaft zu gewährleisten.[5]
    Eine bewusste Politik des billigen Geldes birgt jedoch die Gefahr weiterer unerwünschter Nebenwirkungen einer wohlgemeinten Wirtschaftspolitik. Was zudem damals gegen die Depression geholfen hätte, muss heute nicht die Lösung sein. In diesem Zusammenhang kann darauf verwiesen werden, dass gerade Ökonomen der Österreichischen Schule wie Hayek, von Mises oder Rothbardt immer wieder die grundsätzlichen Probleme einer staatlichen Geldpolitik herausgestellt haben, welche schließlich auch die Finanzkrise durch die Politik des billigen Geldes für Häuslebauer mit verursacht hat. Eine „Entnationalisierung des Geldes“ (Hayek) zur Begrenzung – auch wohlgemeinter – politischer Einflussnahme und damit auch der Eigeninteressen der Politiker scheint heute im Zuge von Pfadabhängigkeiten und trügerischer Funktionsfähigkeit des Systems kaum mehr vorstellbar. Darüber hinaus war es Keynes, der gezeigt hat, dass eine expansive Geldpolitik in der Depression/Rezession an ihre Grenzen stoßen kann (Liquiditätsfalle); jener sprach sich zur Rezessionsbekämpfung für eine extensive Fiskalpolitik aus, da zusätzlich verfügbare Gelder bei den Wirtschaftssubjekten nicht nachfragewirksam werden. Im Zuge der keynesianischen Revolution schienen Konjunkturzyklen durch eine auf diese Weise praktizierte Wirtschaftspolitik beherrschbar. Die aktuellen Konjunkturprogramme zielen in diese Richtung – über die ordnungsökonomische Sinnhaftigkeit einzelner Programminhalte (Rettungsring für die Träger des 4. Kondratieffs etc.) mag man streiten. So richtig und wichtig diese Argumente sind, so bedeutsam scheint mir das von Phelps genannte (und in der öffentlichen Diskussion weitgehend ausgeklammerte) Argument zu sein, dass Finanzmarktregulierungen (und Geldpolitik) nicht nur quantitativen, makroökonomischen Aspekten Rechnung tragen, sondern vor allem auch eine qualitative, mikroökonomische Dimension berücksichtigen müssen. Dies war auch Schumpeters Kernkritik an Keynes’ makroökonomischer Lösung des Depressionsphänomens. Die qualitative Komponente der Investition und die damit verbundene Mikrodimension des dazu erforderlichen Finanzunternehmertums unterscheidet Schumpeters Konjunkturtheorie maßgeblich von Keynes’ General Theory, dessen Makroansatz griffige wirtschaftspolitische Handlungsanweisungen gibt, ohne das qualitative Element des mikroökonomischen Zusammenspiels von real- und finanzwirtschaftlicher Sphäre dabei herauszustellen. Nur vor diesem Hintergrund wird die endogene Bedeutung des Geldes bei Schumpeter deutlich.


    [1] „Neues Denken nötig“, in: Spiegel, Nr. 46/2008 vom 10.11.2008, S. 64f.
    [2]
    Siehe Röpke, J: Die Finanzkrise – ein neoliberales Desaster?, Mafex-Blog vom 13.10.2008, www.mafex.de.
    [3]
    Siehe Siemon, C.: Unternehmertum in der Finanzwirtschaft, Marburg/Norderstedt, 2006.
    [4]
    Schumpeter bezeichnete diese langfristigen Konjunkturwellen nach ihrem Entdecker als „Kondratieff“. Zum Zusammenhang der durch Innovation und Innovationsfinanzierung angestoßenen Konjunkturwellen und wirtschaftlicher Entwicklung siehe das von Vandenhoeck und Ruprecht kürzlich neu herausgegebene Werk „Konjunkturzyklen“ von Joseph A. Schumpeter.
    [5]
    Dies ist seit jeher eines der wichtigsten Anliegen von Ben Bernanke: Das Verständnis der Weltwirtschaftskrise und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen seien der „Heilige Grad der Makroökonomik“. Die US-Notenbank Federal Reserve hat denn auch während der Krise erheblich mehr Bargeldreserven zur Verfügung gestellt. Während die Reserven am 10.09.08 sich noch auf 47 Milliarden und am 08.10.08. bereits auf 180 Milliarden US-Dollar beliefen, waren es am 22.10.08 bereits 329 Milliarden US-Dollar. Bernanke verfügt dabei über wesentlich größere Spielräume als die Notenbanken vor 80 Jahren, da die wichtigsten Währungen seinerzeit noch an den Foldstandard gekoppelt waren.