Montag, 3. März 2008

Ein Euro pro Tag

Jochen Röpke

1. März 2008

Soviel verdient ein Landarbeiter in einem indonesischen Dorf in Westjava, der höchstentwickelten Provinz in Indonesien. Seine Familie, drei Personen, benötigt zum Über leben drei Euro (40,000 Rupiah).[1] Die Landflucht schlägt daher neue Rekorde. Im informellen Sektor der Städte läßt sich etwas mehr verdienen, aber bei 1.8 Millionen Arbeitslosen in Westjava ist das ohne Selbstausbeutung auch nicht zu machen. Immerhin fördert die Provinzregierung das Training von Unternehmertum bei Arbeitslosen,[2] was wir in Deutschland, dem Land der Mitnahmeeffekte, wieder abgeschafft haben. Frau und Kinder bleiben im Dorf. Landwirtschaft wird eine Angelegenheit von Frauen. Die Diskriminierung von Frauen ist hier ohne Chance. Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Land sind rar, versteckte Arbeitslosigkeit verbreitet. Da die Einkommen bereits am Existenzminimum liegen, hilft ihnen auch die deutsche Einsicht wenig, durch Lohnsenkung Arbeitsplätze zu schaffen. Auf die Idee, Geld für Lohnsubventionen à la Nokia zu spendieren, ist noch niemand gekommen. Das Kinderhilfswerk hat sich auch noch nicht sehen lassen. Ihre Berater lassen sich schließlich nicht für einen Euro pro Tag abspeisen. Und die Fahrer von Cayennes in der Londoner City und ihr Master aus Zuffenhausen haben anderes im Kopf als das von ihnen mit verursachte Elend in der Dritten Welt.
Was passiert?

Nichts – außer gelegentlicher Berichterstattung in der Zeitung, auf die sich der Autor stützt. Da gerade die Reisernte im Gang ist, berichten die Medien ausführlich über das, was auf den Dörfern so alles vor sich geht. Über Preise und Einkommen zu reden, ist in Indonesien Teil der Kultur. Jedermann weiß was der Präsident mit nach Hause nimmt.

Alles ist optimal geregelt, wie in den Lehrbüchern der Ökonomie, auf deren Grundlage sich die Bundesregierung beraten läßt. Die Bauern verkaufen ihren Reis (Rohreis, gabah) für 2,000 bis 2,500 Rupiah (0.20 Eurocent) pro kg an die Händler. Auf einem Hektar erzeugen sie fünf Tonnen ungeschälten Reis, der ihnen 500 Euro bringt.[3] Natürlich betrachten sie sich als abgezockt – aber schließlich bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Genossenschaften existieren nicht (mehr). Innovation ist – lehrbuchgerecht – eine Rarität. Neue Arbeitsplätze gibt es daher auch nicht. Die Armut funktioniert also so, wie es das neoklassische Paradigma lehrt: effizient. Die indonesischen Bauern müssten Verdi doch endlich darüber Nachhilfe geben, was einen gerechten Lohn ausmacht.

Immerhin leisten wir unseren Beitrag zum Lebensunterhalt in indonesischen Dörfern. Die ökologischen Erzengel einschließlich Gabriel, vom Gott Gaia auf die Erde gesandt, kommen in unser Land, sogar in God’s Own Nation, stärken unser Bewußtsein, doch endlich mehr Biosprit zu produzieren. Die indonesischen Bauern danken es ihnen. Den Reis essen sie, teilweise noch selbst - noch. Einige können sich den selbstproduzierten Reis bereits nicht mehr leisten. Beim Öl zum Kochen und Braten müssen sie fast täglich höhere Preise bezahlen. 13,750 Rupiah pro kg, exakt ein Euro, ein neuer Höchststand.[4] Für den Ökonomen interessant ist die Aussage der Beteiligten: Niemand weiß so recht, warum die Preise so hoch sind (Die deutsche Botschaft hat ihnen schließlich auch noch keinen Kontakt mit den allwissenden Klimaforschern aus Potsdam ermöglicht). Das Entdeckungsverfahren des Marktes (F.A. Hayek) funktioniert in Reinkultur. Indonesien produziert eigentlich genug Palm- und Kokosöl. Aber die Plantagen verkaufen es auf dem Weltmarkt bei rasant steigender Nachfrage - für die Produktion von Kraftstoff (biofuel). Zumindest die Orang Utans (Waldmenschen) und Tiger und Elefanten haben es besser. Sie brauchen sich um ihr Überleben keine Sorgen mehr zu machen. Palmölplantagen ersetzen den Urwald. Kleben wir wenigstens einen Aufkleber mit Tigerkopf in unsere Cayennes, damit wir uns daran erinnern, wem wir für unseren Tankinhalt dankbar sein dürfen.
(Wir gehen in einem weiteren Blog auf die Problemlage der kleinen und mittleren Unternehmen in Indonesien ein. Sprache Englisch).


[1]
Kompas, 25. Februar 2008, S. A, Urbanisasi sulit dibendung (Urbanisierung schwierig einzudämmen).
[2]
Kompas, 27. Februar 2008, S. C: 1,8 juta penganggur terdidik di Jabar (1.8 Millionen Arbeitslose erhalten Training in Westjava).
[3]
Kompas, 28. Februar 2008, S. J: Petani mendesak agar harga gabah dinaikkan (Bauern machen Druck für steigende Preise für Reis).
[4]
Kompas, 29. Februar 2008, S. 26: Minyak goreng mencapai Rp. 13.750 per kg (Öl zum Braten und Kochen erreicht 13,750 Rupiah pro kg).

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