Freitag, 22. Februar 2008

Bio-Vermarktung


Haga Kazue & Jochen Röpke

20. 2. 2008

„Genuß ohne Reue liegt im Trend“. Der Biomarkt wächst. Die Biowelle verstärkt sich. Umsätze für Biolebensmittel haben sich seit Anfang des Jahrzehnts fast verdoppelt (2007: 5, 2 Mrd. Euro).[1] Gesund essen durch „natürlich“ erzeugte Lebensmittel. Was bringt das für Gesundheit und Lebensspanne? Mit Bionahrungsmitteln kehren wir in die Zeit unserer menschlichen Vorfahren zurück. Neuere Forschung zeigt uns sogar: Affen essen gesünder als wir. Die „Affendiät“ ist für die Ernähungswissenschaft eine alte Bekannte und wird sogar von Nobelpreisträgern als Vorbild gepriesen. Ein Anthropologe der Universität Berkely ermittelt: Monkey diet is richer in vitamins and minerals than human diet, UC Berkeley anthropologist discovers. "Milton also found that the wild fruits had higher levels of calcium, potassium, iron and phosphorus - sometimes as much as a 10-fold difference - compared to domesticated fruits." [2] Unsere Vorfahren sind für die Meisten von uns, Gott sei Dank nicht alle, aber schwierig zu imitieren. Alles, was wir im Bioladen finden, sind „domesticated fruits”. Es gibt zwei Arten von Bio-Nahrungsmitteln. Eine verpönt, ethisch verachtet, vom Gesetzgeber aus den Geschäften verbannt: die biotechnologisch erzeugten, genetisch „manipulierten“ Nahrungsmittel. Diese sind heute nicht unser Thema. Wer die jüngere US-Diskussion darüber verfolgen will, lese Ronald Baileys Kommentar: „Are farmers stupid, or deluded, or both?“ [3] Man kann bei all dem nur an Heinz von Foerster erinnern: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.“

Wir beschäftigen uns hier mit ethisch sauberen Bioprodukten.

Ein Besuch in einem Bioladen macht schnell klar: auch Biolebensmittel sind Killerfood, wenn man die falschen und zuviel, auch der mit Bio-Label“ als biologisch erzeugt geprüften, zu sich nimmt. Der von Bioindustrie und Handel vermarktete Glaube, wer „Bio“ äße, äße gesund, mag Menschen dazu verführen, die doppelte Botschaft der Okinawamenschen zu mißachten: esse wenig gesund, hüte dich, diese Regel zu mißsachten. Die ethische Steigerung von Bio-Nahrungsmitteln ist ihre „Bio-Gerechtigkeit“, insbesondere wenn biogerechter Konsum den vom Markt ausgebeuteten Menschen der Dritten Welt zugute kommt. Das Gerechtigkeitsbewußtsein der Entrepreneure mag hier hoch entwickelt sein, die Gesundheitsqualität der von ihnen vermarkteten Produkte kann sich jedoch mit Nestle et al. des Öfteren messen. Wir haben uns davon in französischen Supermärkten des Öfteren überzeugen können. Auch hier wirkt ein das Leben verkürzender Anreizmechanismus: bio-organisch etc. verbindet sich mit einem karikativen Wohlfühleffekt. Zugegeben: die konventionelle Lebensmittelindustrie geht rabiater zu Werk: superschlanke Frauen werben für Nahrungsmittel, die Menschen fett machen.

Macht der Markt uns fett und krank und arm (höhere Gesundheitskosten)? Dies behaupten Eric Finkelstein und Laurie Zuckermann, zwei US-Ökonomen, die sich die Nahrungsmittelindustrie in den USA anschauen:

The fattening of America: How the Economy makes us fat. Ihr Ausweg: Innovation. Neue Medikamente nehmen uns die Disziplin eines gesunden Lebenswandels ab. [4] Durch Innovation zurück zum Affen?

Bionahrungsmittel sind eine Vermarktungsinnovation. Was sie zur besseren Gesundheit leisten, wissen wir (noch) nicht. Die in früheren Blogs geschilderten Krankheiten entstehen durch Kalorienzufuhr im Übermaß.[5] Die Krankmacher sind die Menge der Nahrungsmittel (Kalorien) und die Auswahl der Nahrungsmittel. Biosteak und Biospaghetti im Übermaß bringen für die Gesundheit wenig. Es gibt auch Menschen, die sagen: Ich esse jetzt gesund („bio“), also kann ich mehr essen. Oder da ich mehr Biokost verzehre, kann ich mir anderswo mehr „Sünden“ leisten. Wer mit hohem Gesundheitsbewußtsein ausgestattet ist, ißt möglicherweise auch biologisch, er ist aber vor allem gesund: wenig und das Wenige von hoher Qualität (was nicht „Bio“ sein muß). Bio kann ihm Letzteres geben; ersteres vielleicht auch, wenn er nicht mehr soviel essen muß, um den Bedarf an Vitaminen, Mineralien usw. zu befriedigen. Aber das sind nur wenige Menschen.

Der Aufstieg der Biobranche kann jedoch auch Folge eines höheren Gesundheitsbewußtseins sein. Menschen investieren ein Mehr ihrer Lebensenergie in eine gesunde Lebensführung. Ausgangspunkt der Mehrproduktion von Bioprodukten sind Bedürfnisverschiebungen bei den Nachfragern - die auch von den Anbietern mit angeschoben sein können. Alle Nahrungsmittelkonzerne surfen mittlerweile auf der Biowelle, auch traditionelle Junk- und Killerfoodvermarkter. Dies bewirkt dann wieder den Mehrkonsum. Sich durch „gesunde“ Nahrungsmittel zu Tode essen.

[1]
Friederike Redwitz, Genuß ohne Reue liegt im Trend, Handelsblatt, 18. Februar 2008, S. 12.
[2]
Berkeley.edu
[3]
Reasononline, 19. Februar 2008.
[4]
Eine Besprechung des Buches in Financial Times, 16. Februar 2008.
[5]
Mafexblog: Vom Leben und Sterben im Kalorienkapitalismus.

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