Mittwoch, 7. Januar 2009

Eine schöne Bescherung

Zur Involutionsdynamik von Aufkäufen und Fusionen

Jochen Röpke 31. 12. 2008

Just zu dem Zeitpunkt, als die „Finanz/ Realwirtschaft-Krise“ deutlich sichtbar ihr Potential zu entfalten beginnt, versucht die „mittelständische“ Schaefflergruppe die etablierte Continental AG zu übernehmen. Sie verpflichtete sich, für eine Continentalaktie 75 Euro zu zahlen (Marktpreis am 22. Dezember 2008: 32 Euro). Continental stand beim Angebot von Schaeffler bereits auf wackligen Beinen, weil der (damalige noch) Dax-Wert sich von der Siemens AG dazu überreden ließ, deren VDO-Sparte, tätig als Elektro-Zulieferer für die Automobilindustrie, zu kaufen, die Siemens vor einigen Jahren sich selbst angeeignet hatte. Conti finanziert VDO durch neue Schulden. Schaeffler mußte, um den Deal zu stemmen, 16 Mrd. Euro an Krediten aufnehmen. Wer bislang einzig verdient hat: die Dealmaker (Investmentsbanken, Berater). Wer von den beiden verliert, wird sich zeigen, höchstwahrscheinlich zahlen beide, plus die Steuerzahler, massiv drauf. Wer auch verliert, so unsere Vermutung, ist die deutsche Volkswirtschaft, der „Standort“. In der Diskussion spielt er keine Rolle. Wie zu erwarten, winkt die Wettbewerbsbehörde, der Europäischen Union, den Deal durch.
Bei unserer Evaluierung lassen wir uns an dieser Stelle nicht auf die betriebswirtschaftliche Logik des Aufkaufs ein. Hier herrschen die Argumente, die wir alle kennen, und die offensichtlich nicht durchschlagend genug sind, um Fehlinvestitionen großen Ausmaßes zu verhindern. Die Ansätze zum strategischen Managements liefern außer Leerformeln wenig was helfen könnte[1], und das Investmentbanking, kognitiv ohnehin ausgedünnt, verfolgt seine eigenen Interessen. Das Management ist auf seine persönliche Kompetenzstruktur zurückgeworfen, um unternehmensstrategisch zu agieren und wie so oft, um nicht zu sagen, in der Regel, Finanzkapital zu verbrennen manchmal auch den eigenen Untergang einzuleiten.

Die Literatur zeigt zur Genüge, daß M&A selten Nettovorteile erzeugen. Das Dealmaking dennoch für das Topmanagement eine so hohe Anziehungskraft besitzt, hat wenig mit der innovativen Erschließung zukünftiger Wertschöpfungspotentiale zu tun. Dann wären Firmen wie die Allianz und Daimler und Siemens längst im Himmel der unsterblichen Seelen des Kapitalismus. Im Kern: Aufkauf & Fusion reflektieren (auch, nicht immer) Innovationsschwäche und diese ein Ausdünnen unternehmerischer Energie. Sie erzeugen aber auch, was sie reflektieren: Innovationsarmut, im Unternehmen, in der Volkswirtschaft. Beide wirken sich wechselseitig verstärkend.
Man könnte nun sagen, es ist doch Sache der Firmen, zu machen was sie wollen – wenn sie durch ihr Tun den Wettbewerb nicht beschränken. Das sagt auch ein (liberales) Wettbewerbskonzept. „Ob ein Handeln gut oder schlecht ist, hängt nicht von den damit verfolgten Zwecken ab, sondern von den dabei beachteten Regeln“. [2]
Was heißt aber hier Wettbewerb? Worin könnte eine Beschränkung des Wettbewerbs, insbesondere des innovativen und evolutiven liegen? So wie die EU ihn definiert, läuft fast alles. Ohne Unterscheidungen zwischen wettbewerblichen Funktionen (Routine/Allokationseffizienz; Arbitrage/Ausnutzen von Bewertungsunterschieden; Innovation/Neukombination von Ressourcen; Evolution/Fähigkeitsaufbau) darben Beobachter, Akteure und Mandarine im theoretischen Sumpf. Aufkäufe und Fusionen sind primär Arbitragestransaktionen. Wie wirken sie auf den Wettbewerb? Welche Folgen haben sie für bestehende und neue Unternehmen? Insbesondere, und langfristig die entscheidende Perspektive: Wie wirken sie auf Innovation und Kompetenzentfaltung? Wenn wir M&A frei laufen lassen, was sind deren wettbewerbliche Folgen für die tieferen Funktionen, ohne welche die Marktwirtschaft, auch die soziale, vor die Hunde geht, in die Stationarität abgleitet?
Der potentielle Innovations- und Evolutionswettbewerb ist durch solche Transaktionen eingeschränkt. Wenn Schaeffler den Markt, in dem Conti zu Hause ist, für so attraktiv hält, warum erschließt die Gruppe ihn nicht durch internes Wachstum – und macht damit Conti zukünftige Konkurrenz? An Geld konnte es nicht fehlen, wenn man 16 Milliarden für die Übernahme mobilisieren kann. Die Antwort liegt auf der Hand. Vordergründig: Es rechnet sich, scheinbar. Das dachte auch Herr Merkle als er, als Arbitrageur sich verwirklichend, den Niedergang seines Imperiums betreibt. Das denkt auch – immer noch: Wallstreet und The City – Hauptstädte des angelsächsischem Finanzkapitalismus. „…der natürliche Grund ist .. eben ihre Unfähigkeit, das Tempo der Innovation aufrechtzuerhalten, das sie zur Zeit ihrer Jugendkraft nicht zuletzt durch ihre eigene Mitwirkung gesetzt haben“ (Schumpeter, Konjunkturzyklen, 2008, S. 103). Die gleiche Frage stellt sich für Contis Kauf von VDO. Man vergleicht: was bringt uns die hochunsichere Eigenentwicklung von Innovationspotentialen im Vergleich mit relativ gut kalkulierbarem M&A? Die eigene (auch zukünftige) Innovationsleistung und die eigenen (auch zukünftigen) Innovationsfähigkeiten werden auf die Gegenwart abdiskontiert. „Auf Schaefflers Seite heißt es, alles sei gut durchkalkuliert“. [3] Der Verlierer steht fest. Für die Berechnung echter Unsicherheit existiert keine mathematische Formel. Etablierte Managementkulturen verdrängen Radikalität zugunsten des großen Deals. Descartes mutiert: I shop, ergo I am. Die Medien jubeln. Und wenn dann später zwei Kulturen zu integrieren wären (Conti und Schaeffler), liegt Innovation und Fähigkeitsaufbau für Jahre auf Eis. Streß schlägt Innovation. Gravierend für die volkswirtschaftliche Dynamik ist die Beschränkung des Innovationswettbewerbs. Das gilt für beide Firmen. Hätte Schaeffler durch internes Wachstum Conti Konkurrenz gemacht, hätte Letzterer dem Angreifer nur durch Innovationen Paroli bieten können. Und Innovation im globalisierten Kapitalismus bedeutet immer: Stärkung und Aufbau von eigenen Fähigkeiten.
Continental hatte vor – in Zusammenarbeit mit Daimler Benz und Evonik – in neue Batterietechnologien zu investieren, welche Elektroautos brauchen. „Geldmangel bremst Conti aus. Ausgerechnet Investitionen in Schlüsseltechnologien kann sich der bedrängte Zulieferer derzeit kaum leisten.“[4] „Ausgerechnet Investitionen“ ! Natürlich nicht. Gerade „Investitionen in Schlüsseltechnologien“, vollständig der Logik des kapitalistischen Wettbewerbs folgend, leiden. Wer investiert, überladen mit Schulden, in hochungewisse Innovationen? Der Staat müßte hier schon Beistand leisten, was er sicherlich auch tun wird, angesichts der hohen Anerkennung der immer noch als Zukunft gehandelten Automobilbranche durch die classe politique.
Was daraus folgt: Der deutsche Standort wird in der Innovationskonkurrenz zurückgeworfen. Irgendwann wird der Steuerzahler zuschießen. Japan ist in der Batterietechnologie, unverzichtbar für neue Generationen von Antrieben, führend, China holt schnell auf und sichert sich zunehmend die erforderlichen Rohstoffe (seltene Erden/Metalle). Die deutsche Automobilindustrie hat ohnehin einen Spätstart in dieser Schlüsseltechnologie, ohne welche Automobile der Zukunft nicht auskommen. Arbitragefreiheit erodiert Innovation und Wertschöpfungspotential. Die sogenannte „Krise“, von wem und von was auch immer bewirk, belegt diese Vermutung. Interessenvertreter wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sehen es anders. Forschung und Entwicklung werden es richten.[5] Wir kennen das von Detroit. Und schon greift die „Angst vor einem deutschen Detroit“[6] um sich. F & E kann Niedergang und Stagnation einer Industrie nicht aufhalten. Fachkräfte auch nicht.
All dies ist Standard der Wettbewerbstheorie. Auch Lösungen der obigen Problemlage kennen wir. Im Kern geht es darum, daß Management vor eigenen und extern eingeredeten Fehlentscheidungen zu schützen. Aufkäufe und Fusionen beschränken nahezu durchgängig Wettbewerb und Innovation. Die einfachste und härteste Regel: Fusionsverbot (Ausnahme bei ansonsten untergehenden Firmen). Auch Entflechtung kann helfen. In früheren Blogs haben wir weitere Maßnahmen vorgeschlagen, etwa Begrenzung oder Verbot von Abschreibungsverlusten aus Finanztransaktionen, damit eine stärkere wenn nicht vollständige Internalisierung (Zurechnung) von Verlusten im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis, welche Verluste aus M & A sozialisiert. In der Kreditkrise wird Banken alles Mögliche vorgeworfen und verboten. Jenseits der Finanzmärkte herrscht eine vergleichbare Praxis, die selten in Frage gestellt ist. Schieflagen auf den Finanzmärkten wirken zwangsläufig auf die „Realwirtschaft“ und treffen jene am härtesteten, die sich auf die Abenteuer von spekulativer Arbitrage einlassen. Die komplexitätsarmen Rationalmodelle von Managementwissenschaft und Investmentbanking sind überfordert. Für Konjunkturtheoretiker jenseits von Keynes sind es notwendige Ursachen, warum kapitalistische Systeme von Rezession Schumpeter im „sekundäre“ und prinzipiell vermeidbare Depressionen laufen (Schumpeter, Konjunkturzyklen; dazu Siemon 2008).
Wenn wir es mit Systemen hoher Komplexität und Unsicherheit zu tun haben, wie wir sie im modernen Kapitalismus vorfinden, sagen uns die schottischen Aufklärer Ferguson, Smith, Hume (im eigenen Land als „Ideologen“ und „Moralisten“ und „säkular Religiöse“ abgetan[7]) und ihre zeitgenössischen Vertreter (F.A. Hayek), auch die moderne Systemtheorie (Luhmann): arbeite mit allgemeinen Regeln, denn sie reduzieren Komplexität und Unsicherheit. Eine solche Regel wäre: laßt uns M&A verbieten, durch Regeln zähmen, laßt uns Management einschließlich Investmentbanking vor ihren eigenen, unvermeidbaren Fehlern (Komplexität, Unsicherheit) und unbewußten, oft instinktnahen (auch in unserem Fall beobachtbaren) Inkompetenzen schützen. Auch der Steuerzahler wird es uns danken, der für fiskalstaatliche Geschenke an die Managerklasse und Imperiumsarchitekten aufkommen muß.
Auf ein Problem mit dieser Sichtweise, aus der Sicht einer evolutionären, nicht der paradigmatischen vorherrschenden Wettbewerbstheorie, gehen wir in einem nachfolgenden Blog noch ein. Bedeutet nicht das Vorgeschlagene, die Vielfalt marktwirtschaftlicher Ordnung zu beschränken, Besserwissen an die Stelle einer Ordnung des Unbekannten zu setzen und damit zu verhindern, daß wir das „System“ veranlassen, sich selbst zu ordnen? Schließlich erklären wir einem Typus von Arbitrage den innovations- und evolutionspolitischen Widerstand. Die neoklassische und finanzkapitalistische Kritik müssen wir theoretisch nicht so ernst nehmen. Paradigmen werden geboren um zu sterben.
Was wir für den Augenblick vorschlagen: (1) Regelsetzung ist ein notwendiger Bestandteil von Innovations- und Entwicklungspolitik. (2) Regeln sind ein Produkt der Evolution. Im Übrigen zeigte uns das Vereinigte Königreich UK den WEG. Eine Arbitrageökonomie. Eunuchisiert. Financial services (Investmentbanking) als Schlüsselbranche. Keynes sagt uns, was zu tun ist. Die „Premier league“, von russischen Arbitrage-Oligarchen alimentiert, spielt auch an Weihnachten. „Alternative säkulare Religionen“ (Martin Wolf) überlassen wir den Gläubigen der „moral sentiments“ (Adam Smith). Das ein Wolf und ein Brown-Bär ihre Fassung verlieren, läßt sich verstehen, auch ihre Reinkarnation von Keynes, aus Gründen, die er nicht vorsah. Die Briten machen jetzt Schulden im Umfang von sieben Prozent ihres BSP. Martin Wolf hatte möglicherweise noch Hayek in seinem unbewußt operierenden Langzeitgedächtnis: „Nur ein praktizierender Immoralist [J.M. Keynes] konnte allen Ernstes politische Maßnahmen mit der Begründung befürworten: ‚Auf lange Sicht sind wir alle tot’“. [8] Hätten Continental und Schaeffler sich nicht auf die grandiosen Aufkäufe eingelassen, wie gut (wie weniger schlecht) stünden sie heute da? Für Jahre hinaus werden beide leiden: mit ihnen Mitarbeiter, Standorte, Wettbewerb, Innovationsdynamik – wenn die Aktionäre leiden, sind sie selbst schuld. Die Banken genauso. Nur die Vertreter des Gewaltmonopols des Fiskalstaates sind gut raus. Entweder sie lassen zahlen (uns) oder sie lassen retten (bringt Stimmen).

Theoretische Grundlagen

Röpke, Die Strategie der Innovation, Tübingen: Mohr-Siebeck, 1977. Röpke, Externes Unternehmenswachstum im Evolutionsprozeß, in: Ordo, Band 41, 1990, S. 167-189. Joseph A. Schumpeter, Konjunkturzyklen, Neudruck: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008. Cord Siemon, Schumpeters Konjunkturzyklen: Eine Einführung, in: Schumpeter, Konjunkturzyklen, Göttingen 2008, Vandenhoeck & Ruprecht.
[1] Ein hartes Urteil, das wir den Leser bitten, ohne viele Belege, die leicht aufzutreiben sind, zu akzeptieren. Siehe, zu einem jüngeren Beitrag, was die „managerial implications for incumbents (etablierte Unternehmen)“ angeht, Luca Berchicci & Christopher L. Tucci,: Entrepreneurship, technology and Schumpeterian innovation: entrants and incumbents, in: Mark Casson u.a.: The Oxford Handbook of Entrepreneurship, Oxford University Press, 2008, Kapitel 13.
[2]
F.A. von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung, Tübingen 1996: Mohr-Siebeck, S. 87.
[3]
Kristina Spiller, Dossier: Wo Frau Schaeffler steht, Financial Times Deutschland, 22. Dezember 2008.
[4]
Handelsblatt 22. Dezember 2008, S. 14.
[5]
„Mehr Geld für die Forschung“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 2008, S. 11.
[6]
Rüdiger Soldt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Dezember 2008, S. 14.
[7]
Martin Wolf, Keynes offers us the best way to think about the financial crisis, The Financial Times, 23. Dezember.
[8]
F.A. von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung, Tübingen 1996: Mohr-Siebeck, S. 90.

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