Mittwoch, 7. Januar 2009

Phelps, Finanzkrise und die Frage: „Wer finanziert den 6. Kondratieff“?


von Cord Siemon (1. Version:28.11.2008; update: 03.01.2009)

In der Spiegel-Ausgabe Nr. 46 vom 10.11.2008 kommen fünf Wirtschafts-Nobelpreisträger in dem sehr lesenswerten Beitrag „Neues Denken nötig“ (S. 64-69) zu Wort, die angesichts der schwelenden Finanzkrise und Rezessions-/Depressionsängste Antworten auf die Frage nach einer künftigen Weltfinanzordnung geben. Neben Robert E. Lucas, Reinhard Selten, Joseph E. Stiglitz und Paul A. Samuelson gibt Edmund S. Phelps ein interessantes, lesenswertes Statement, welches wir im Folgenden (auszugsweise) kurz vorstellen und kommentieren möchten.[1] Ein grundlegendes Problem, dem sich die Regulierungsdiskussion stellen muss, ist die Frage, welche Funktion die Bankenindustrie für die Gesellschaft übernehmen soll. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die Banken zunehmend versucht, mit Eigenheim- oder gewerblichen Hypotheken Geld zu verdienen. Da sich dies als schwierig erwiesen hat, müssen die Banken in Zukunft entweder ihr Kreditvolumen insgesamt reduzieren oder einen Teil der Kredite an die Unternehmen umlenken. Leider scheinen die meisten Banken die Expertise für Firmenkredite oder Investitionen verloren zu haben – für die sie in den sagenhaften Jahren der Investmentbanken wie etwa der Deutschen Bank und J.P. Morgan bekannt waren. Könnte es den US-Großbanken gelingen, diese Expertise zurückzugewinnen? Es scheint wahrscheinlich, dass streng regulierte Banken keine ideale Quelle für die Finanzierung von Geschäftsinvestitionen sind, vor allem von innovativen Geschäftsideen. Eine natürliche Quelle für junge Start-up-Unternehmen sind wohlhabende „Erbonkel“, sogenannte Business Angel, die mehr von jungen Unternehmern verstehen als es ein Banker je könnte. Ein anderer natürlicher Geldgeber sind Risikokapital-Finanziers, die selbst einen Hintergrund als Unternehmer haben und junge Firmen beraten und finanziell unterstützen können. Auch manche Hedgefonds sind kreativ, wenn es darum geht, innovative Projekte zu finanzieren. Es ist eindeutig nicht im Interesse einer Gesellschaft, wohlhabende Anleger, Risikokapitalgeber und Hedgefonds zu regulieren, die in kleine oder neue Firmen in-vestieren oder ihnen Geld leihen. Wenn eine Gesellschaft diesen Fehler begeht, wird ihre Innovationskraft leiden, werden der Lohn der Arbeit und das Angebot von Jobs leiden. Phelps ist bekannt als Makroökonom, der nach seiner Nobelpreis-Ehrung 2006 offenbarte, dass er sich verstärkt schumpeterschen Themen zuwenden werde, da er die Vertiefung der mikro- und makroökonomischen Zusammenhänge von Innovation, Gründung, Finanzierung etc. für den Themenkomplex Entwicklung/Wachstum für ein besonders bedeutsames Forschungsfeld hält. In seinem Interview zeigt sich m.E. eine wohltuende Weitsicht, mit der er die aktuell schwelende Diskussion zur Regulierung der Finanzmärkte beurteilt. Ordnungsökonomische Eingriffe mögen hier heilende Wirkung haben, gleichzeitig dürfen die langfristigen Folgewirkungen für die wirtschaftliche Dynamik nicht außer Acht gelassen werden, insbesondere wenn man den konjunkturtheoretischen Ideen von Schumpeter (und seinen Anhängern) nahe steht. Da ist zum einen die zerstörende, weil Krisen auslösende Staatstätigkeit, welche bspw. die Folgewirkungen einer wohlgemeinten Geldpolitik nicht berücksichtigt und damit einen „irrationalen Überschwang“ (Robert Shiller) eingeleitet hat.[2] Da ist zum anderen die subtilere Zerstörungswirkung, die damit einhergehen kann, dass durch die Regulierung die langfristigen Voraussetzungen für Innovationshandeln und damit für Entwicklung/Wachstum blockiert werden. Hier setzt auch Phelps an: Wirtschaftliche Dynamik entsteht aus dem Zusammenspiel realwirtschaftlicher Innovatoren und finanzwirtschaftlicher Unternehmerleistungen, welche die Potenziale einer Neukombination erkennen und finanzieren dürfen, können und wollen.[3] In der aktuellen Diskussion um die Regulierung der Finanzmärkte rückt dieser, angesichts der nahenden sechsten großen, möglichweise 50-60 Jahre andauernden Innovationswelle (6. Kondratieff[4]) sehr bedeutsame Aspekt m.E. zu sehr in den Hintergrund. Zu stark steht das keynesianische Krisenmanagement im Vordergrund, um die makroökonomischen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Aufschwungsmanagement zu schaffen. Neben der Bereitstellung gewaltiger Summen und Bürgschaftszusagen zur Wiederherstellung der Vertrauensbasis zum und im Bankensystem sowie zur Stabilisierung der Eigenkapitalbasis der Kreditinstitute – eine Wissenschaft für sich! – wurde auch der aus der Weltwirtschaftskrise resultierenden (scheinbaren) Erkenntnis Rechnung getragen, dass eine expansive Geldpolitik notwendig ist, um die Geldversorgung einer Volkswirtschaft zu gewährleisten.[5]
Eine bewusste Politik des billigen Geldes birgt jedoch die Gefahr weiterer unerwünschter Nebenwirkungen einer wohlgemeinten Wirtschaftspolitik. Was zudem damals gegen die Depression geholfen hätte, muss heute nicht die Lösung sein. In diesem Zusammenhang kann darauf verwiesen werden, dass gerade Ökonomen der Österreichischen Schule wie Hayek, von Mises oder Rothbardt immer wieder die grundsätzlichen Probleme einer staatlichen Geldpolitik herausgestellt haben, welche schließlich auch die Finanzkrise durch die Politik des billigen Geldes für Häuslebauer mit verursacht hat. Eine „Entnationalisierung des Geldes“ (Hayek) zur Begrenzung – auch wohlgemeinter – politischer Einflussnahme und damit auch der Eigeninteressen der Politiker scheint heute im Zuge von Pfadabhängigkeiten und trügerischer Funktionsfähigkeit des Systems kaum mehr vorstellbar. Darüber hinaus war es Keynes, der gezeigt hat, dass eine expansive Geldpolitik in der Depression/Rezession an ihre Grenzen stoßen kann (Liquiditätsfalle); jener sprach sich zur Rezessionsbekämpfung für eine extensive Fiskalpolitik aus, da zusätzlich verfügbare Gelder bei den Wirtschaftssubjekten nicht nachfragewirksam werden. Im Zuge der keynesianischen Revolution schienen Konjunkturzyklen durch eine auf diese Weise praktizierte Wirtschaftspolitik beherrschbar. Die aktuellen Konjunkturprogramme zielen in diese Richtung – über die ordnungsökonomische Sinnhaftigkeit einzelner Programminhalte (Rettungsring für die Träger des 4. Kondratieffs etc.) mag man streiten. So richtig und wichtig diese Argumente sind, so bedeutsam scheint mir das von Phelps genannte (und in der öffentlichen Diskussion weitgehend ausgeklammerte) Argument zu sein, dass Finanzmarktregulierungen (und Geldpolitik) nicht nur quantitativen, makroökonomischen Aspekten Rechnung tragen, sondern vor allem auch eine qualitative, mikroökonomische Dimension berücksichtigen müssen. Dies war auch Schumpeters Kernkritik an Keynes’ makroökonomischer Lösung des Depressionsphänomens. Die qualitative Komponente der Investition und die damit verbundene Mikrodimension des dazu erforderlichen Finanzunternehmertums unterscheidet Schumpeters Konjunkturtheorie maßgeblich von Keynes’ General Theory, dessen Makroansatz griffige wirtschaftspolitische Handlungsanweisungen gibt, ohne das qualitative Element des mikroökonomischen Zusammenspiels von real- und finanzwirtschaftlicher Sphäre dabei herauszustellen. Nur vor diesem Hintergrund wird die endogene Bedeutung des Geldes bei Schumpeter deutlich.


[1] „Neues Denken nötig“, in: Spiegel, Nr. 46/2008 vom 10.11.2008, S. 64f.
[2]
Siehe Röpke, J: Die Finanzkrise – ein neoliberales Desaster?, Mafex-Blog vom 13.10.2008, www.mafex.de.
[3]
Siehe Siemon, C.: Unternehmertum in der Finanzwirtschaft, Marburg/Norderstedt, 2006.
[4]
Schumpeter bezeichnete diese langfristigen Konjunkturwellen nach ihrem Entdecker als „Kondratieff“. Zum Zusammenhang der durch Innovation und Innovationsfinanzierung angestoßenen Konjunkturwellen und wirtschaftlicher Entwicklung siehe das von Vandenhoeck und Ruprecht kürzlich neu herausgegebene Werk „Konjunkturzyklen“ von Joseph A. Schumpeter.
[5]
Dies ist seit jeher eines der wichtigsten Anliegen von Ben Bernanke: Das Verständnis der Weltwirtschaftskrise und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen seien der „Heilige Grad der Makroökonomik“. Die US-Notenbank Federal Reserve hat denn auch während der Krise erheblich mehr Bargeldreserven zur Verfügung gestellt. Während die Reserven am 10.09.08 sich noch auf 47 Milliarden und am 08.10.08. bereits auf 180 Milliarden US-Dollar beliefen, waren es am 22.10.08 bereits 329 Milliarden US-Dollar. Bernanke verfügt dabei über wesentlich größere Spielräume als die Notenbanken vor 80 Jahren, da die wichtigsten Währungen seinerzeit noch an den Foldstandard gekoppelt waren.

Keine Kommentare: