Donnerstag, 30. April 2009

Die Krise ist angekommen.

Jochen Röpke

25. April 2009


“The worst thing for the world economy would be to assume the worst is over.”

The Economist, 25. April 2009
Wer weiß es? Auch Gott nicht. [F. A. Hayek auf die Frage, was ein Student lesen sollte: „Den Economist und eine gute Tageszeitung (damals, Mitte der 1960-er: die FAZ)“.

Es hat lange gedauert, bis sie wahrgenommen, geschweige ernst genommen wurde, geschweige therapiert wurde. Letzteres steht noch aus. Ratlosigkeit herrscht jenseits jener Kreise, deren „Reputation“ in den Medien täglich zelebriert wird.
Bei der Krise geht es nicht um Marktversagen. Dann hätten wir Krisen ohne Ende. Der Markt operiert wie es die Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft verlangen. Seit Adam Smith bekannt – in Grenzen, weniger bei Ökonomen. Man drehe die Uhr ein Jahr, zwei Jahre zurück, lese nach, was die Politikelite und Wissenschaft den Medien anvertrauten. Schwache Signale für Wissenschaft, Politik, Manager (Schaeffler schlägt bei Conti zu und Merkle, PBUH, vergreift sich bei VW). Der Maschinenbau ist in Hochstimmung und die Automobilindustrie feiert ihre Exportweltmeisterschaft. Es gibt kein Problem. Vorstellungskraft galt einst als unternehmerische Kernkompetenz.
Der Internationale Währungsfonds – G20 will ihn keynesianisch neu beleben - kommt in seinem Jahresbericht 2006 bezüglich der Finanzinnovationen der Investmentbanker zu dem Schluß: „The dispersion of credit risk by banks to a broader and more diverse set of investors [IKB, Landesbanken usf.] … has helped to make the banking and overall financial system more resilient … improved resilience may be seen in fewer bank failures.“ Die Mediziner haben einen Namen dafür, die Ökonomen (jenseits der Paleo-Schumpeterianer und der „Österreicher“) suchen noch: „Unrecognized myocardial infections“ - UMI. [1]
Wachstum minus ein Prozent: Konjunkturpaket 1. Wir sind gut aufgestellt. Minus zwei Prozent. Konjunkturprogramm 2. Minus fünf Prozent. Es reicht, wir brauchen kein drittes Programm. Sagt auch der Sachverständigenrat. Vertrauen in den Markt, trotz dessen, schulökonomisch oder neoklassisch konstruierten „Versagens“. Abgesehen von der Architektur der Maßnahmen: Programme, greifen kaum, bis heute. Wenig Abfluß von Geldern.[2] Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wird ihre Kredite nicht los. Muß also Marktfundamentalismus, Selbstheilung, die Konjunktur retten? An einem einzigen Tag (23.4. 2009) lesen wir folgende Schlagzeilen in Spiegel Online:

  • „Wirtschaftseinbruch schürt Angst vor sozialen Konflikten“,
  • „Bosch kündigt weiteren Jobabbau an“,
  • „Wirtschafts-Absturz macht Merkels Krisenrunde ratlos“,
  • „Institute prognostizieren Explosion der Staatsverschuldung“,
  • „Pessimistische Prognosen: Deutschland stürzt in tiefe Rezession“,
  • „Mittelstand erwartet massiven Jobabbau“. Der Herzinfarkt eines Systems.
  • „GM erwägt monatelangen Produktionsstopp.“


  • Wie an dieser Stelle mehrfach erläutert, ignorieren die Konjunkturprogramme bis heute – mit Ausnahme des chinesischen – Wachstumskräfte jenseits von Gleichgewichtslogik und Nachfrageausfall nach Keynes. Auch wenn die zuständige Wissenschaft wenig Hilfe bietet, läge der gesunde Menschenverstand eines Politikers es nahe, Alternativen zu erkunden. Müntefering und die Kanzlerin sind keine Innovationsignoranten. Warum nicht Innovation und Konjunktur maßnahmenpolitisch verknüpfen? Ergebnis:
    „Krisenpolitik ignoriert Wachstumstreiber“, berichtet Hubert Beyerle über eine Untersuchung des Brüsseler Thinktank Bruegel.[3] „Der Anteil der gegen die Krise eingesetzten Budgetmittel, die an forschungsintensive und innovative Unternehmen gehen, schätzen die Ökonomen auf lediglich ein Prozent.“ Der Politik kann man innovationsarme Politik nur in Grenzen anlasten. Was soll sie machen, wenn man auf das hört, politisch rational, was Wissenschaft und Experten sagen? Wenn sie etwa auf einen Nobelpreisträger wie Edmund Phelps hören, der zwei Alternativmodelle zum herrschenden Keynesianismus - Schumpeter und Hayek - in bemerkenswerter Weise mißversteht und Naivität zur Krisenerklärung erhebt.[4]
    Immerhin sagt auch Phelps: „. …wir müssen die Innovationskraft der Wirtschaft wiederbeleben“. Die Innovationskraft ist nicht tot. Sie lebt – geknebelt und finanziell und fiskalisch eunuchisiert. Beispiel Biotechnologie.[5] Die Stärkung der Kräfte der Neukombination und Selbstveränderung (Evolution) bleibt aber in allen Krisenprogrammen außen vor, unbeachtet, nicht gefördert. Gewaltige Opportunitätskosten in Form entgangener Vorteile sind die Folge. Nicht erzeugte Einkommen und Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in der Zukunft. Die zukünftige Staatsverschuldung explodiert. Es bleibt schwierig zu verstehen: Der Staat nimmt soviel Geld in die Hand. Die Krise gab ihm die Chance, eine Konjunkturpolitik zu machen und gleichzeitig, mit den gleichen Maßnahmen, Wachstum durch Innovation zu erzeugen. Daß Ökonomen Gefangene ihrer Modelle sind, ist verständlich. Warum läßt sich Politik ihrer potentiellen Weitsichtigkeit berauben, steuert die Gesellschaft visionslos in die Stagnation?
    Die Chancen sind vertan. In Europa, in den U$A. Wir leiden, dank sei dem Dalai Lama, für viele, viele Jahre.
    Was kommt nach der Krise wenn die Wachstumstreiber Innovation und Selbstevolution ignoriert bleiben? Stagnation, schwaches Wachstum ist das wahrscheinlichere Resultat der vorherrschenden Politikversuche auf der Grundlage kognitiver Routine. Basisinnovationen in den reifen Industrieländern laufen aus. Der „tendenzielle Fall der Profitrate“ (Karl Marx) ist dann unvermeidlich. Das Neue wahrscheinlicher zu machen, erfordert kognitive Innovation jenseits des herrschenden wissenschaftlichen und industriellen Lobbyismus. Ein evolutionärer Drift bleibt unerkennbar. „Mama [Mutti, Mamam], ich bin schwanger“, verrät uns die soziale Marktwirtschaft. „Karl ist wieder auferstanden, hat mir ein Kind gemacht.“ „Kein Problem, Hauptsache, es ist kein Wahltagbaby“. Freuen wir uns auf eine ökonomische Apoptosis.[6]

    [1] Siehe den Forschungsbericht zum „schweigendem“ Herz in Science Daily (22. April 2009: Prevalence of ‚silent’ heart attacks revealed with new imaging technology.
    [2]
    „Staatshilfe kommt nur tröpfelnd an“, Handelsblatt, 9. April 2009.
    [3]
    Financial Times Deutschland, 20. April 2009: Krisenpolitik ignoriert Wachstumstreiber
    [4]
    Edmund Phelps, Die vergessene Unsicherheit, Financial Times Deutschland, 24. 4. 2009,
    [5]
    Armelle Bohineust, Les PME de biotechnologie souffrent, Le Figaro, 6. April 2009, S. 25; Jerome Porier, Fragilisées par la crise, de nombreuses sociétés de biotechnologies sont menacées. En France, les investessements ont plongé de 79 % entre 2007 et 2008, Le Monde, 8. 4. 2009, S. 12; Siegfried Hofmann, Biotechbranche fürchtet Finanzlücke, Handelsblatt, 14. April 2009, S. 11.
    [6]
    In der Biologie: programmierter Zelltod.

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