Sonntag, 22. Februar 2009

„Das kooperative Gen“ – ökonomisch betrachtet

Jochen Röpke

22. Dezember 2008

Charles Darwins zweihundertsten Geburtstag feiern wir im kommenden Jahr. Rechtzeitig zu den anlaufenden Feierlichkeiten legt sich der Freiburger Mediziner, Prof. Dr. Joachim Bauer, mit Evolutionsbiologen an. In seinem Buch „Das kooperative Gen“ (Hoffmann & Campe, 2008), nimmt er „Abschied vom Darwinismus“. Er formuliert die Antithese zum „egoistischen Gen“ von Richard Dawkins, einem Vollblutdarwinisten. Sich mit Biologie beschäftigende Ökonomen argumentieren eher in die Richtung Darwin-Dawkins. Wir nennen es DaDa-ismus.
Die Hauptthese von Bauer: „Neue Arten sind die Folge von schubweisen Veränderungen der genomischen Architektur, die von Organismen beziehungsweise deren Zellen selbst organisiert werden.“[1] Die evolutionsbiologische Logik der Überlegungen von Bauer wurde heftig kritisiert: „keine Ahnung von Evolutionsbiologie … postuliert wirres Zeug ... tiefstes Unverständnis und oberflächliches Halbwissen.“[2]

Wir beschäftigen uns aus evolutionsökonomischer Sicht mit der vorgestellten Zentralthese von Bauer. „Schubweise Veränderungen“ klingen uns vertraut. Haben nicht Nikolai Kondratieff und Joseph Schumpeter ein Solches als Mechanismus der Entwicklung definiert? Entsprechen nicht schubweise Veränderungen im System der Wirtschaft Basisinnovationen oder „Kondratieffs“ (Schumpeter)? Entstehen diese nicht „endogen“ (Schumpeter) und „selbstorganisiert“? Wie sonst?

Diese Interpretation macht aber noch wenig theoretischen Sinn. Wie immer, wenn es mit der Theorie Ärger gibt, spielen Unterscheidungen (Maturana: „making distinctions“) eine Rolle, insbesondere solche, die man nicht macht. Grundsätzlich für Evolutionsökonomen wäre, zwischen „Entwicklung“ und „Evolution“ zu unterscheiden. In der Biologie ist dies mittlerweile Standard,[3] in unserem Fach die Ausnahme. Wenn wir „neue Arten“ als Innovationen bezeichnen, was entspräche dann der Veränderung der „genomischen Architektur“ im System der Wirtschaft? Man könnte sagen, die Basisinnovation, die „lange Welle“, der Zyklus, gehen mit Veränderungen einher, deren konkreter Ausdruck Innovationen im Zeitpfad eines Lebenszyklus wären. Die Kraft, die diese hervorbringt (Schumpeter: „Energie“), ist diese dann die Genomik des Systems? Dies macht Sinn, wenn wir Kraft als Kompetenzen („Persönlichkeit“) verstehen, die sich von Welle zu Welle schubweise (im Nachhinein beobachtet) verändern. „Der Unternehmer setzt seine Persönlichkeit ein und nichts andres als seine Persönlichkeit. Seine Stellung als Unternehmer ist an seine Leistung geknüpft und überlebt seine Tatkraft nicht“ (Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1911/2006, S. 529).[4]

Man kann selbstverständlich auch das Standardmodell der Evolution: Variation, Selektion, Stabilisierung auf den neukombinativen Entwicklungsprozeß anwenden – das herrschende Vorgehen. Man verschenkt dann jedoch eine ganze Theorie-Ebene – Genomik -unterscheidet nicht zwischen Phänotyp und Genotyp in ihrer funktionalen Unterschiedlichkeit.

Vergleichen wir den Automobil- mit dem Bio/Nanozyklus (vierter und sechster Kondratieff). Nur ein radikaler Umbau des Fähigkeitsprofils (nicht gleichzusetzen mit Wissen) in Wissenschaft und Wirtschaft leistet die Entstehung dieses neuen Lebenszyklus. Ein Fähigkeitsschub gleichsam, ist notwendig, um neue Arten (Bio- und Nanoprodukte) hervorzubringen. Sagen wir also: eine selbstorganisierte Kompetenzsteigerung in allen Dimensionen (nicht nur der kognitiven), die sich schubweise vollzieht und durchsetzt. Was bedeutet aber nun schubweise? Wie in der Biologie ist die Zeitdimension zu beachten. Schub bedeutet nicht plötzliche Umstellung, vielmehr graduelle, in der kurzen Frist nahezu nicht wahrnehmbare Transformation der Kompetenzen, eingebunden in Lernprozesse, die zwischen bewußt und unbewußt hin und her pendeln und die auch evolutorische Fallen durchlaufen. Nicht zuletzt, wenn die „Arten“, die sie selbstorganisiert hervorbringen, in schöpferischer Zerstörung zugrunde gehen (biologisch: „aussterben“). Evolutionärer Wandel vollzieht sich graduell.
Die Kompetenzevolution verlangt, beispielsweise das Hören und die Kommunikation von „schwachen Signalen“. Wie hört man das, was noch schweigt, noch keine Stimme hat? Loslassen, Leermachen. Die Daoisten nennen es de (Wirkkraft des dao). Wir vermuten: die Dominanz neuer Unternehmen, ihre so oft zufällige, nur im nachhinein (Aha-Wirkung) erkennbare wirtschaftliche Potenz, ihre faktisch nur in Grenzen durch Intervention erzeugbare Machbarkeit, hängt an den Einflüssen von de, ist Folge einer Kompetenzentfaltung insbesondere bei der Erzeugung von „schubweisen Veränderungen“. Zynisch gesagt: wenn die Frösche im heißen Wasser das Sagen haben (die Signale ihres Untergangs nicht wahrnehmen; Automobilkondratieff [5]), sind schwache Signale nicht existent. Der Unternehmer/Manager[6] kann sie nicht wahrnehmen, in sich erzeugen, sein Vermögen dazu erfordert Kompetenzen, die im bestehenden Unternehmen nicht verfügbar und/oder nachgefragt werden, die auch oft die neuen Unternehmer nicht haben müssen, wenn sie sich dem Diktat des Zufallserfolgs beugen. Was dann schiefgeht, irgendwann, zeigt der Untergang der US-Automobilindustrie, zeigt die Insolvenz von Lehman-Brothers, das Schlüsselereignis der Finanzkrise. Bemerkenswert die Führungsqualitäten des Topmanagements, die Unfähigkeit schwache Signale zu erkennen: in der Evolutionsfalle. [7] Kein Lehrmaterial für MBAs und Schools of Finance – ausgedünnte Ko-Evolution. Tausend MBA-Degrees ersetzten keine „Persönlichkeit“.


Was können wir mit „kooperativ“ theoretisch anfangen? Wir verstehen es als „Evolution durch Ko-Evolution“: die wechselseitige Hervorbringung von Kompetenzen. Evolution in der Wirtschaft, in der Gesellschaft läuft über einen ko-evolutiven Mechanismus.
Unsere theoretischen Grundlagen: · Röpke, Der lernende Unternehmer, 2002 · Röpke & Ying Xia, Reisen in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 2007 · Kazue Haga & Röpke, Wie lernen Unternehmer? Mafex Working Papers, 2007

[1]
Joachim Bauer, Dogmatische Evolutionswächter, Handelsblatt, 18. Dezember 2008, S. 9.
[2]
Axel Meyer in seiner Besprechung des Buches: Dummes Zeug über Darwin, Handelsblatt, 4. Dezember 2008, S. 9.
[3]
Axel Meyer, Danken wir den Fischen mit fünf Fingern, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Dezember 2008, S. Z3.
[4]
Zufall oder nicht, in Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahrs ist zu lesen: „Nicht die Talente, nicht das Geschick zu diesem oder jenem machen eigentlich den Mann der Tat; die Persönlichkeit ist’s, von der alles abhängt.“ Der „Mann der Tat“ ist der Menschentyp, den Schumpeter in seiner Entwicklungstheorie in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens rückt und den die herrschende Theorie und weite Teile der Sozialwissenschaften, inklusive Psychologie, zu einem UFO (unbekanntes Forschungsobjekt) machen.
[5]
Autoindustrie: Der Niedergang des vierten Kondratieff, 17.November 2008.
[6]
Das Gleiche gilt für Funktionsträger in anderen Teilsystemen der Gesellschaft.
[7]
Spiegel Online, 21. Dezember 2008, Wie der Lehman-Boss die Welt in Panik versetzte.

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