Montag, 24. November 2008

Schumpeter Business School of Business and Economics – Marketing-Gag oder richtungsweisende Wirtschaftswissenschaft?

(Cord Siemon, 21.11.2008)

Seit dem Bologna-Prozess ist Bewegung in die Hochschullandschaft gekommen. Durch die Einführung national und international vergleichbarer Bachelor- und Master-Abschlüsse rücken Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien enger zusammen. Vor diesem Hintergrund werden marketingtechnische Aspekte zur strategischen Positionierung beim Buhlen um Studierende zunehmend bedeutsamer. Alleinstellungsmerkmal – Das Zauberwort in der BWL, vom Volkswirt auch gern im Zusammenhang mit dem Begriff des „komparativen Vorteils“ verwendet. Eine besonders bemerkenswerte Veränderung hat der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal vorgenommen: Zum Wintersemester 2008/09 erhält der Fachbereich den Namenszusatz „Schumpeter School of Business and Economics“ und verschreibt sich damit einer inhaltlichen Programmatik, die am bedeutenden österreichischen Nationalökonomen Joseph A. Schumpeter anlehnt [1]. Jener war bekannt für seine umfassende Betrachtungsweise wirtschaftlicher Entwicklungsvorgänge in kapitalistischen Systemen und kaum ein Student der Wirtschaftswissenschaft kommt bei der Beschäftigung mit den Themen „Innovation“ und „Existenzgründung“ umhin, sich mit Schumpeter mehr oder weniger intensiv zu beschäftigen. Im Zuge des zunehmenden Formalismus werden diese Themen in der Volkswirtschaftslehre mittlerweile jedoch fast nur noch gestreift, wenn nicht gar von vielen Fachbereichen gänzlich ausgeblendet. Im Sog dieses Mainstreams gewinnt man manchmal den Eindruck, dass Schumpeters außergewöhnliches Leben mehr Beachtung findet, als seine sozioökonomisch ausgerichteten Theorien [2].

An einigen wenigen Fakultäten ist seit einigen Jahren jedoch auch eine gewisse Rückbesinnung auf schumpetersche Themen (u.a. auch in betriebswirtschaftlichen Kontext) zu konstatieren, insbesondere wenn es darum geht, Studierende an den Universitäten für unternehmerische Belange zu sensibilisieren. War bspw. das Modell „Mafex“ 1998 noch ein einsamer Rufer im Wind, sprießen mittlerweile an vielen Hochschulen Lehrstühle empor, welche sich den Themen „Entrepreneurship“ und/oder „Innovationsmanagement“ verschrieben haben und sich dabei mehr oder weniger explizit auf Schumpeter beziehen. Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der bergischen Universität Wuppertal gehört zu jenen Hochschulen, die sich mit diesem Anliegen seit einigen Jahren in der Theorie und Praxis verdient gemacht haben. Vor diesem Hintergrund ist die Namensgebung ein kluger Schachzug, um diese Verdienste werbewirksam mit dem Schumpeter-Etikett nach außen zu tragen. So heißt es in der Zielsetzung des Fachbereichs: „Dies greift unsere Erfolge der vergangenen Jahre auf und führt sie konsequent weiter. So wurde die Bergische Universität Wuppertal mehrfach als beste deutsche Universität im Bereich Entrepreneurship und Unternehmensgründung ausgezeichnet. Die Ausrichtung auf die Themen Innovation und unternehmerische Dynamik werden künftig noch stärker unser Alleinstellungsmerkmal in Forschung und Lehre sein.“ [3]

Dass für die von Schumpeter stets favorisierte soziökonomische Betrachtungsweise von Entwicklungs- und Evolutionsprozessen eine interdisziplinäre Ausrichtung erforderlich ist, versteht sich von selbst, da Schumpeter selbst oftmals Stellung zu politischen und soziologischen Fragestellungen bezogen hat und dies in seine Arbeiten auch hat einfließen lassen. Dies schreibt sich auch die Schumpeter School der Bergischen Universität auf die Fahne: „Die Einheit von Betriebs- und Volkswirtschaftslehre rückt wieder in Forschung und Lehre in den Mittelpunkt und bietet zahlreiche Anschlüsse an benachbarte Disziplinen. Ganz ähnlich ist auch das Werk Schumpeters durch ein Höchstmaß an Interdisziplinarität geprägt; er machte auch nicht Halt vor einer Anwendung seiner innovationsökonomischen Überlegungen auf soziologische oder politikwissenschaftliche Fragestellungen.“ [4] Natürlich gibt es in Deutschland mittlerweile zahlreiche Entrepreneurship-Lehrstühle [5]. Dass sich in Deutschland ein ganzer Fachbereich mit seiner Namensgebung zum Wirken Schumpeters bekennt, ist jedoch neu. Das Lehrangebot und die theoretischen Arbeiten von Prof. T.L. Koch (Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaft, insbes. Unternehmensgründung und Wirtschaftsentwicklung), Prof. U. Braukmann (Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik, Gründungspädagogik, Gründungsdidaktik) und Prof. Welfens (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Makroökonomische Theorie und Politik und 2007 als erster Deutscher mit dem Kondratieff-Preis von der Russischen Akademie für Wissenschaften) sind Repräsentanten für die Authentizität einer Schumpeter School. Ein Blick in das Curriculum und in die inhaltliche Ausrichtung der Forschungsarbeiten offenbart, dass es sich bei der Namensgebung nicht nur um einen Marketing-Gag bzw. einen Etikettenschwindel handelt, sondern um eine begrüßenswerte Programmatik, welche einen nachahmungswürdige Alternative zu den Studienprogrammen darstellt, welche überwiegend durch einen neoklassisch-orthodoxen Blickwinkel und eine anti-unternehmerische (i.S.v. Schumpeter) Betriebswirtschaftslehre geprägt sind und wenig Raum lassen, um aktuelle Wirtschaftsprobleme theoretisch und praktisch zu greifen.

Die schumpeterschen Themen bieten in der Tat eine theoretische Alternative bei der Interpretation von Entwicklungs- und Wachstumsphänomen, die sogar die Integration der orthodoxen, neoklassischen Theorie – in Maßen – zulässt und zugleich zahlreiche praktische Hinweise für Probleme (pardon: Herausforderungen) liefert, welche (in der Logik Schumpeters) die nächste große Entwicklungswelle nach sich zieht. Die orthodoxe Theorie kann diese Sichtweise im Grunde gar nicht greifen – ein theoretisches Rauschen, allenfalls im Rahmen von Wachstumsmodellen (Endogene Wachstumstheorie) von gewissem didaktischen Wert. In der neoklassischen Welt herrscht Mengenanpasserverhalten, d.h. unternehmerische Routine im Gleichgewicht. Gleichgewichtszerstörende Kräfte werden als exogene Schocks interpretiert, so auch die schöpferische Zerstörungskraft des schumpeterschen Unternehmer. In der entwicklungs- und evolutionsökonomischen Theorie sind diese Aspekte im Rahmen einer funktionalistischen Betrachtungsweise thematisiert und erweitert worden. Während bspw. der Arbitrageur – theoretisch ein Abkömmling der österreichischen Schule – dafür sorgt, die vom Innovator aufgebrochenen Gleichgewichtszustände durch unternehmerische Findigkeit im Ungleichgewicht wieder herzustellen, ist der evolutorische Unternehmer für die Entfaltung neuer Fähigkeiten – „Vielfalt“ oder „Eigenkomplexität“ in der Sprache der Systemtheorie – verantwortlich, welche routine-, arbitrage- oder (entwicklungsökonomisch besonders relevant) innovationsmäßig angewandt werden [6]. Problematisch ist vor dem Hintergrund dieser schumpeterschen Brille das Faktum, dass die Neigung zur Selbständigkeit der potenziellen Entwicklungsträger– gerade in den Naturwissenschaften – tendenziell ab nimmt [7]. Unternehmertum i.S.v. Schumpeter wird insbesondere an den Universitäten (für Nicht-Ökonomen) vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten von großer Bedeutung. Radikale Veränderungen (sog. „Basisinnovationen“) lösen langfristige Entwicklungswellen aus – ca. 50 Jahre nach Schumpeter und Kondratieff – und sind zunehmend durch akademisches Wissen fundiert. Vor diesem Hintergrund wird seit geraumer Zeit eine engere Koppelung von Wirtschaft, Wissenschaft und Wirtschaft postuliert (sog. „Triple-Helix“-Ansatz). Auch die Einräumung größerer handlungsrechtlicher Freiräume der unternehmerischen Potenziale der Forscher an Universitäten, gekoppelt mit der Errichtung universitärer Beteiligungsfonds und der unternehmerischen Ausbildung in der Pre-Seed-Phase stellen Ansatzpunkte zur Überwindung des sog. „Knowing-Doing-Gaps“ dar. Ob man auf diese Weise den nahenden 6. Kondratieff (Gesundheit, Nanotechnologie etc.) politisch „konstruieren“ (und den chinesischen Siegeszug damit aufhalten) kann, sei dahin gestellt [8].

10 Jahre Mafex: Von der Selbstevolution zur Innovation

Mafex hat sich seit der Gründung (1998) einem schumpeterschen Ansatz – in Theorie und Praxis – verschrieben und pünktlich zum 10. Geburtstag ein durch und durch schumpeterianisch getränktes Projekt auferlegt, welches an dieser Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ansetzt und vom Wirtschaftsministerium des Landes Hessen und vom Europäischen Sozialfonds für regionale Entwicklung gefördert wird. Durch die Beratung und das Coaching von angehenden akademischen Unternehmern, eine Vortragsreihe zu verschiedenen Themen aus dem Komplex „Von der Invention zur Innovation“ und die Förderung der Umsetzung angewandter Forschungserkenntnisse in die Wirtschaft in Form von intensiver Netzwerktätigkeit verfolgt Mafex einen Förderansatz, um die Lücke zwischen Wissen und Tun zu überbrücken und Gründerinnen und Gründer aus der Universität in der sehr schwierigen Pre-Seed-Phase zu unterstützen [9].

[1] Uni-Wuppertal- Schumpeter
[2] siehe Siemon, C.: Die Kraft der schöpferischen Zerstörung – Anmerkungen zum gleichnamigen Buch von Annette Schäfer, in: Wirtschaftspolitische Blätter, 2008, S. 519-526 (erscheint im 12/08).
[3]
Uni-Wuppertal - Schumpeter
[4]
Uni-Wuppertal - Schumpeter
[5]
Wisu- Entrepreneur
[6] siehe Röpke, J.: Der lernende Unternehmer, Marburg/Norderstedt, 2002.
[7] siehe dazu Kerst, Ch. und Minks, K.-H., Selbständigkeit und Unternehmensgründung von Hochschulabsolventen fünf Jahre nach dem Studium – Eine Auswertung der HIS Absolventenbefragungen 2002/2003, HIS Projektbericht, Hannover, 2005.
[8] vgl. Röpke, J.: „Gründerlehre“: Zur Produktion unternehmerischer Kompetenz.
[9]
Uni-Marburg

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