Samstag, 14. Februar 2009

Auf dem Weg in die wirtschaftliche Demenz? Krisenpakete und ihre Folgen


Quelle
Jochen Röpke
14. Februar 2009

Die Finanz- und Wirtschaftskrise überfordert die Elite. Die Davosianer sind ratlos.[1] Die classe politique reagiert mit zunehmender Panik. Sie baut „Konjunkturpakete“ nach der Art des Weihnachtsmanns – der vorher eine Bank ausraubte, um seine Geschenke zu bezahlen. In der Ökonomenbranche herrscht Schweigen oder Schaulaufen mit Patentrezepten.

Was wir hier kurz erläutern, folgt theoretischen Beschränkungen. Wir philosophieren nicht. Im Hintergrund läuft eine Theorie mit, die oft erläutert wurde. Ob man sie für gut oder schlecht im Sinne von Immanuel Kant hält, ist eine andere Frage. Was wir fragen: Was wäre anders zu machen, hielte man sich an diese Logik.


"Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten” Paulus, 2. Kor 9,6

Das Konjunkturpaket II liegt auf den runden Tischen. Das Obamaprogramm ist die Legislative. Beide Programme sind ähnlich gestrickt. Die Vielfalt der Meinungen über ihre Quantität und Qualität bleibt beachtlich. Wenn wir unterscheiden zwischen Konjunktur (Auf- und Abschwung; Zyklus), Wachstum und Entwicklung, hat das „größte Paket in der Geschichte der Bundesrepublik“ (Angela Merkel) primär konjunkturelle Ambitionen, welche die Experten kleinreden, bringt vielleicht auch Wachstum, mit Gottes Beistand, entwicklungslogisch ist die Chance vertan. Obamaismus und Merkelismus gleichen sich. Sie sind beide meilenwert entfernt von dem, was man tun könnte, um Konjunktur- und Entwicklung, Gegenwart und Zukunft, gleichzeitig, durch identische Maßnahmen, zu fördern. Kaum mehr als 15 Prozent des Geldes fließt in „Entwicklung.“ Auch konjunkturpolitisch im keynesianischen Sinn sind sie problematisch, da sie, angesichts des weltweiten Einbruchs der Nachfrage eine viel zu späte und viel zu unsichere Wirkung entfalten. Keynes hat nicht umsonst vorgeschlagen: Löcher graben, mit Flaschen füllen, zuschütten und wieder ausgraben. (Zu den Flaschen sagen wir nichts.) Das wirkt über Nacht. Das deutsche Programm muß großkoalitionären Beschränkungen folgen, und bei Barack Obama spielen ideologische und ethnische Präferenzen, auch seiner Gegner, eine Schlüsselrolle.[2]
Im Entwicklungsprozeß sind Schwankungen (theoretisch) normal, allerdings nicht solche, wie wir sie jetzt erleben dürfen. Kein „Marktfundamentalismus“ kann bewirken, was durch politisch motivierte Eingriffe in eine komplexe Wirtschaft an Verwerfungen ausgelöst wurde. Der Nagel braucht den Hammer. Die Energie des Hammers kommt nicht aus ihm selbst. Sie ist, überwiegend, eine politisch erzeugte. Es handelt sich nicht um „Marktexzesse“ (Merkel; in Davos: „Die Kräfte des Marktes haben versagt“), sondern um durch Intervention (den Staat) in Kombination („struktureller Kopplung“) mit der alltäglichen Psyche der Marktteilnehmer und dem Aufstieg von unbewußt operierenden Inkompetenten (Banker, Berater) erzeugte Schieflagen dramatischen Ausmaßes. Die arbitrage-kapitalistische Maschine brennt aus. Systemisch betrachtet sind alle Teilsysteme involviert: Politik, Wirtschaft und (Wirtschafts-)Wissenschaft.
Die Ankopplung an die langfristige Entwicklungsdynamik entscheidet darüber, ob die deutsche Volkswirtschaft ihren Weg in die Innovationsdemenz beschleunigt fortsetzt. Wenn schon der Staat Kaufkraft erzeugen muß, dann auf eine Weise, daß diese die Entstehung von innovationsbasierten Mikromultiplikatoren fördert. Was man hier machen könnte, wissen wir, haben wir und andere auch – vor Installierung der Großen Koalition – dargelegt. [3] Dies läßt sich sicherlich alles noch besser machen. Das ist nicht entscheidend. Vielmehr die Konstruktion einer Zukunft für die deutsche Wirtschaft, wie sie heute nicht erkennbar ist, und bei den bestehenden Beschränkungen sich nicht entfalten kann, aber sich entwickeln müßte, will die deutsche Volkswirtschaft nicht auf dem Weg in die Altersverwirrtheit zügig voranschreiten. Man kann dann nur noch über die Pflegestufe streiten. Um das zu leisten, darf man nicht die Verbände fragen (Vertreter des Etablierten, des Alten, des Aufgelaufenen, der „Schlüsselindustrien“: Management by crocodile: Warten, bis einem das Wasser am Hals steht, dann das Maul weit aufreißen; Schaeffler-Syndrom; ausgenommen jene der jungen Industrien: Nano, Bio, Roboter usw., was die Amerikaner NBIC nennen: Nano, Bio, Info, Cogno; sie wissen, was keine Behörde weiß: wo die Schwierigkeiten liegen, im Prozeß des Säens des Neuen), auch nicht die Mandarine im Bundesfinanzministerium (die bis heute wesentliche Innovationsimpulsgeber steuerlich blockieren und eine Froschkultur – werfe einen Frosch in eine Schüssel mit Wasser, drehe die Temperatur hoch, usf. - verinnerlicht haben): unfaßbar, was man mit Änderungen, die einen Bruchteil des Pakets II kosten, an Dynamik erzeugen könnte. Die „Schlüsselindustrien“ sind die Wegbereiter volkswirtschaftlicher Demenz. Überlassen wir sie den tibetanischen Totenbüchern.
Wenn Konjunkturen integrale Aspekte von Entwicklungsdynamik sind – was jene Konjunkturtheorien sagen, die in keinen Lehrbüchern mehr auftauchen (Schumpeters Konjunkturzyklen wurden gerade neu aufgelegt[4]) – besteht die „Kunst des Krieges“ (Sun Zi) gegen den Absturz in der Konzeption und Durchsetzung von Maßnahmen die (1) dem Kaufkraftverfall entgegenwirken, (2) die langfristige Entwicklungsdynamik stärken und dennoch bereits kurzfristig Impulse ausstrahlen und (3) die spontanen Selbstheilungskräfte komplexer Wirtschaftsordnungen, das ist im Kern die Mobilisierung unternehmerischer Energie, stärken, (4) Unternehmen Liquidität bzw. Finanzkapital zuführen, um weitere Investitionen zu tätigen zu können. Jede Maßnahme ließe sich an diesen Kriterien zu überprüfen. Was 1-4 nicht erfüllt: raus; der Steuerzahler lacht und die Wirtschaft fängt wieder an zu brummen.
Was bliebe von den Stützungsprogrammen I & II, von Obamas Programm, wenn wir diese Kriterien zum Maßstab machten? Auch Schlüsselindustrien fallen der Altersverwirrtheit zum Opfer. Alte Basisinnovationen verlieren an Dynamik. Komparative Vorteile wandern in „emerging economies“. China-Bashing wird zur Norm politischer Weisheit. Die Welt der Bedürfnisse unterliegt einem Wandel. Habengüter weichen Evolutionsgütern.[5] Diese Trends laufen unabhängig von der Krise. Auch wenn wir sie irgendwie hinter uns lassen, die Chancen für nachhaltiges Wachstum bleiben, wenn Politik und Wirtschaft nicht „schöpferisch antworten“ (Schumpeter), bescheiden. Was kommt danach? Dauerkrise? Schulden bleiben. Wie sie zurückzahlen ohne Wachstum? Parallel laufen die Terrorerzeugungs/vernichtungsaktionen im Mittleren Osten (Militärbudget der USA: 1000 Mrd. Dollar pro Jahr). Die Märkte beginnen bereits, die Perspektivlosigkeit einzupreisen. Noch so viele Investitionen in Bildung und Infrastruktur und Forschung und Kinder und Immigranten, können daran etwas ändern.
Wenn schon Schulden machen, warum nicht für solche Vorhaben, die langfristig Entwicklung erzeugen und kurzfristig Krisen meistern helfen? Von den Programmen I und II sind bestenfalls 15 Prozent diesem Ziel gewidmet. Der Rest ist entwicklungsökonomisch ein „Schwarzes Loch“. Unternehmen im 6. Kondratieff stellen Mitarbeiter ein und steigern Forschung und Entwicklung. Setzt Celgene Menschen auf die Straße? Dow Agra stellt weltweit neue Mitarbeiter ein, weil sie diese für die Kommerzialisierung revolutionärer Technologien und Produkte benötigt.[6] Im Ausland lebende Chinesen machen Regierung und Biotechfirmen großzügige Angebote zur Rückkehr in die Heimat: in China expandiert Biotech mit 25 Prozent pro Jahr.
Zwei Beispiele – und Sachkundige vermöchten Wirksameres vorzuschlagen. Wir illustrieren lediglich. Krankenhäuser, Universitätskliniken, Hochschulen haben riesige Defizite an Maschinen und Geräten für Forschung, Analyse, Entwicklung, Diagnose, Behandlung. Mangel an Geld. Forschung hängt durch, die Anwendung von neuen Erkenntnissen ist ausgedünnt, Diagnose und Therapie von Krankheiten leiden, Kranke sterben oder leiden länger. Was hier also fehlt sind Produkte der Hochtechnologie, bei denen Deutschland, gegenwärtig noch, international mit US-Firmen, mit Japan und China, Schritt halten könnte. Der deutsche Markt stagniert. Wir können alte Autos in Schrott verwandeln (Abwrackprämie). Mit gleichem Aufwand ließe sich ein Hightech-Impuls mit einer beachtlichen Multiplikatorwirkung erzeugen. Viele Krankheiten ließen sich früher erkennen, Behandlungskosten könnten wir sparen, und das Ausmaß chronischer Leiden verringern. Mitnahmewirkungen lassen sich einfach ausschließen, insbesondere wenn Exzellenzzentren, die im Geld schwimmen, nicht zum Zuge kämen.
Ein zweites Beispiel: Änderung der Abschreibungsregeln, nicht marginal, wie im Konjunkturprogramm I, vielmehr massiv: alle neuen Ausrüstungsgegenstände sofort und voll abschreiben.[7] Der Staat erlaubt Abschreibungen des Goodwills (Geschäfts- und Firmenwerte), entstanden aus spekulativen Engagements von Banken und Konzernen, nahezu unbegrenzt: Förderung des Arbitragekapitalismus, der langfristig nur Geld verbrennt.[8]
Innovationslogisch wären die Wirkungen beeindruckend: (1) Nur jene Unternehmen machen davon Gebrauch, die Produkte mit guten Absatzchancen im Sortiment haben, also Innovatoren; (2) die Investition erfolgt in neue Ausrüstung, fördert also die Produzenten, welche technischen Fortschritt bei sich selbst und bei den investierenden Unternehmen verwirklichen; (3) keine Besserwisserei; die spontanen Marktkräfte bestimmen, was, wieviel, von wem investiert wird; (4) wie Schumpeter und Maurice Scott[9] seit langem sagen: Investition = Innovation; (5) produktive Mikromultiplikatoren springen an (keine Keynesianischen Löcher aufreißen und zuschütten);(6) da deutsche Unternehmen in diesem Feld (noch) führend sind, wäre die Abwanderung von Impulsen ins Ausland bescheiden; (7) schließlich ist der Liquiditätsgewinn (geringere Steuerzahlungen) zu beachten. Auch diese Maßnahme erfüllte die oben genannten vier Bedingungen.
Die Chance ist längst vertan. Die Rechtfertigungsmaschinerie für I&II läuft auf Hochtouren. Jene die Vorteile erwarten, jubeln, ihre Stimmen übertönen Skepsis und Kritik.
Thomas Fricke merkt zutreffend an, „dass es an Beratern und vorbereiteten Konzepten fehlte ... und das ganz neue Beratungsstrukturen“ nötig wären[10], um Obiges zu leisten. Dies zu erwarten ist in Deutschland illusionär. Und die beratenden Ökonomen bringen theoretisch wenig auf die Matte, was die Politik überzeugen könnte, anders zu handeln. Besser third best als Nichtstun. Das Ergebnis ist zunehmende wirtschaftliche Vergreisung, Kaufkraftstagnation für immer mehr Menschen (Ludwig Erhard: „Armut für alle“). Ohne Aufbau neuer Industrien ist Lohnarbitrage unser Schicksal. Immigration beschleunigt den Prozeß. Wer eine Entwicklungsbrille aufsetzt, hat Schwierigkeiten, mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken. Ergebnis:
A huge wasted opportunity
The Economist, 12. Februar 2009[11]

Was bringen die Maßnahmen? Wer weiß es? Hoffnungen. Die ökonomischen Modelle – Entwicklungsenergie ausblendend: Evolution ohne DNA -, sind theoretisch überfordert. Die Krise „läuft“ mehr als ein Jahr. Depression ante portas. Die Politik setzt bis heute auf das, was sie verdammt und im Finanzmarkt gefördert hat: Marktfundamentalismus. Politik ist das Problem, nicht die Lösung. Zu wenig, zu spät – aus unserer Sicht viel Problematisches. Bis es wirkt, irgendwann und irgendwie, lassen wir den Markt seine Arbeit tun. Abgesehen von dem die Rechte und Würde der Menschen verachtenden und totalitären China[12]: Wer hat seine Aufgaben gemacht? Ave Obama & Merkel, die Todgeweihten grüßen Euch.

[1]
Edith M. Lederer, No answer at Davos forum to global meltdown, Yahoo Finance, 1. Februar 2009.
[2]
Unsere Interpretationen der vorliegenden Ausgabeposten des Konjunkturpakets (Markus Ziener, Republikaner lassen Obama auflaufen, Handelsblatt, 30. Januar 2009, S. 8).
[3]
Zirkuliert im Internet: Wenn Schumpeter Kanzler würde.
[4]
Schumpeter, Konjunkturzyklen, Göttingen, 2008, Vandenhoeck & Ruprecht.
[5]
Röpke & Xia, Reise in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 8. Kapitel.
[6]
Groundbreaking Technology Fuels Business at Dow, Inside Indiana Business, 25. November 2008.
[7]
Sebastian Dullien hat Vergleichbares in der Financial Times Deutschland, 23. Januar 2009, S. 26: „Ein Schirm, der wirklich schützt“.
[8]
Zum Ausmaß in Deutschland, D. Fockenbrock, Jetzt rächen sich teure Zukäufe, Handelsblatt, 19. Januar 2009, S. 12.
[9]
Maurice Scott, A new view of economic growth, 1989, Oxford: Clarendon Press.
[10]
Thomas Fricke, Jetzt nochmal, Frau Merkel, Financial Times Deutschland.
[11]
http://www.economist.com/printedition/displayStory.cfm?Story_ID=13108724
[12]
Kevin Hamlin, China’s Economy Shows Signs of Recovery on Stimulus (Update3), Bloomberg. Com, 13. Februar 2009.

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