Montag, 2. Februar 2009

Zur Geschichte eines Deals

Jochen Röpke, 2. Februar 2009

Die Karawane zieht weiter, der Ökonom bellt nicht

Mehr als die Hälfte aller Fusionen und Übernahmen schlägt fehl. Synergiepotentiale werden überschätzt, die strategische Bedeutung eines Erwerbs überbewertet, ein zu hoher Kaufpreisgezahlt. Es ist zwar schwierig, den Erfolg von Fusionen und Übernahmen zu bewerten, da keine Übereinkunft besteht, zu welchem Zeitpunkt zu messen ist und welche Kriterienherangezogen werden sollen. Dennoch: Nach einer Untersuchung des Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers erwirtschaften 80 Prozent der Unternehmen nicht die Kapitalkosten der Transaktion. Eine erschreckende Bilanz, wenn man bedenkt, daß in den vergangenen fünf Jahren auf der Welt etwa 40 000 Fusionen und Übernahmen mit einem Gesamtwert von 5 Billionen [5000 Milliarden] Dollar stattgefunden haben.
Quelle: FAZ.NET 29.Januar 2001

Wie die Quellen deutlich machen, ist unser Text schon ein paar Jahre alt. Auch der Fall ist Geschichte. Die ökonomische Logik nicht. Der Text findet sich auch in irgendeiner Publikation von uns, deren Quelle wir auf die Schnelle nicht ausfinden machen können. Word bringt es nicht. Angesichts der jüngsten Verwerfungen auf den Kapitalmärkten, der Tragikomödie Schaeffler-Continental, neuer Megafusionen (Pfizer-Wyeth, 60 Mrd. $), der um sich greifenden Firmenwertabschreibungen zu Lasten der steuerzahlenden Bürger, mag ein Blick zurück, insbesondere für dem deutschen Kulturkreis Verbundene, Geschichte einer unbekannten Zukunft (= Angst) vorziehend, eines bescheidenen Reizes nicht entbehren. Der Text ist an keiner Stelle geändert. Uns interessiert auch selbst, ob acht Jahre alte Gedanken abwrackprämienreif sind. Nur: Wer zahlt für intellektuellen Schrott jenseits von Zitierkartellen?

Die Fusion von Daimler und Chrysler (Jürgen Schrempp: "Eine Hochzeit im Himmel") entpuppt sich als Kapitalvernichter: "Mercedes gut - Rest wertlos" (Spiegel.Online, 27.10.2000; "Das Daimler-Desaster": Spiegel 48/2000)- wie vorher schon der Aufkauf von Rover durch BMW, die Fusion Thyssen und Krupp, usw., eine Kette der Kapitalvernichtung ohne Ende? Wer schützt das Management vor sich selbst, die Erosion von Innovation durch Arbitrage? Das Problem sind nicht "Fehlentscheidungen". Bei Marktturbulenz und Unsicherheit sind solche unvermeidbar. Die grundsätzliche Frage ist, ob ein bestimmter Typus von Entscheidung - wie internes versus externes Wachstum - der Entscheidungsfreiheit und damit auch dem Ego von angestellten Managern zu überlassen oder die Entscheidungskomplexität in anderen Teilsystemen der Gesellschaft, insbesondere dem Rechtssystem, zu behandeln ist. Beispielsweise durch die Rechtsregel: Fusionsverbot. Dadurch würden wertevenichtende Interaktionen, eine Kopplung zwischen Arbitrage- und Innovationssystem zumindest im Bereich des Handels von Unternehmenskontrollrechten eingeschränkt. Daß derartige Regelungsversuche marktlicher Interaktionen einer von den USA sich ausbreitenden libertinösen Welle dem Wettbewerb eines anything goes entgegenstehen, ist eine andere Sache. "... es kann nicht Aufgabe der Wettbewerbspolitik sein, Unternehmen und ihre Anteilseigner vor, im Durchschnitt verlustbringenden oder doch zumindest wenig lohnenden Verhaltensweisen, zu bewahren" (Kleinert, Jörn/Klodt, Henning, Megafusionen. Trends, Ursachen und Implikationen. Kieler Studien 302. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 73).
Volkswirtschaftlehre als shareholder value management? Aus der Logik von Routine und Arbitrage ist diese Folgerung konsequent. Die Durchsetzung einer Arbitragetransaktion wird routineökonomisch aufgearbeitet.


"Unser Ziel ist und bleibt es, der führende und profitabelste Automobilhersteller der Welt zu sein. Mit freundlichen Grüßen Daimler Chrysler AG" (Aktionärsbrief, Dezember 2000).

Eine mögliche Kapitalvernichtung ist als inputlogischer Preis unternehmerischer Freiheit zu akzeptieren. Die gleiche Verhaltensweise bzw. Unternehmensstrategie (externes Unternehmenswachstum) hat aber auch - im Sinne von Wilber - "tiefere" Konsequenzen: ihre Auswirkung auf Innovation und Evolution. Daß diese sich routine- und arbitrageökonomisch nicht konstruieren lassen, ist kein Grund, sie für eine Evaluierung der Systemfolgen bestimmter Handlungsmuster außen vor zu lassen. Können wir die Komplexität der Innovationswirtschaft und die hedonistische Reizung der Egos der beteiligten Akteure arbitrageökonomisch auffangen, die Akteure im Meer der Komplexität ertrinken und auf den Klippen ihrer Egos zerschellen lassen? Die grundlegendere da funktional tiefere Problematik von Zusammenschlüssen und Übernahmen ist die Beschränkung des potentiellen Innovationswettbewerbs durch eine strategische Präferenz von "buy" (Kauf von Marktanteilen) anstelle von "make" (Selbstschaffung), Kauf von Technologie anstelle von Selbstentwicklung, usw.). Evolutionsökonomisch signalisiert der "Kauf" die Stabilisierung einer negativen Anreizstruktur für unternehmerische und organisatorische Selbstevolution. Kompetenzschwächen werden tauschökonomisch be/ge-handelt, nicht selbstevolutorisch geheilt. Der Aktionsparameter Macht kann sich im Unternehmen und im Markt frei ausleben, bleibt ethisch, kommunikativ und wettbewerbspolitisch ungezügelt (Der neue Chrysler-Chef "Zetsche schockt die Zulieferer". Spiegel Online. 8.12.2000). Bedeutet shareholder value management diejenigen für Unternehmensentscheidungen bezahlen zu lassen, die keine Verantwortung für Entscheidungen tragen: Arbeitskräfte, Lieferanten, Kunden, Steuerzahler?
Um sich nach dem Debakel mit Chrysler vor einer feindlichen Übernahme zu schützen, erarbeiten die Deutsche Bank und JP Morgan ein dreistufiges Verteidigungskonzept von bemerkenswerter Schlichtheit (1. Stufe: den Kurs der Aktie steigern; 2. Stufe: Chrysler verkaufen; 3. Stufe: den größten Mehrwert für die Aktionäre durch einen Verkauf von Daimler an den höchsten Bieter erzielen). Arbitrage pur.
(Quelle: Spiegel Online, 3. Februar, 2001: Spekulationen um die Ablösung Schrempps).

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