Donnerstag, 10. Januar 2008

Neujahrsgrüße von Nikolas Sarkozy


Jochen Röpke

10. Januar 2008[1]


Betrachtet man, was Politik macht, ist man an John Maynard Keynes erinnert: Löcher aufreißen und zuschütten. Und dies mit voller „Energie und Herz“, wie der französische Präsident Nikolas Sarkozy in seiner Neujahrsanspruche 2008 versichert. Die französischen „Baustellen“ (chantiers) – hierzulande als Projekte oder Reformvorhaben bezeichnet - denen sich die Regierung widmet (Le Figaro, 1.1. 2008, S. 5), dienen teilweise der Renovierung von zerfallenden Gebäuden (Ausbildung, Universitäten, Justiz), überwiegend der Reparatur vom politischen System bewirkter Fehlentwicklungen. Sarkozy ist angetreten, um das Baustellenmanagement zu übernehmen: „Ich bin da, um Frankreich zu verändern, und ich werde es tun.“

In Deutschland das Gleiche, fast, da das Föderalsystem unterschiedliche politische Antworten auf Probleme erlaubt, die, falls sie schief liegen, nicht die ganze Nation in Mitleidenschaft ziehen. In Frankreich fliegt nur ein Ballon über die Landschaft, überbeladen, mit Steuern und Vorschriften für alles was kreucht und fleucht. Die Staatsdiener tun ihre Pflicht. 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind schließlich zu verwalten. Daß sie für diesen Herkulesjob gut entlohnt, früh pensioniert und mit Urlaub reichlich ausgestattet sein müssen – eine solidarische Selbstverständlichkeit. Mitte Januar legt die Attali-Kommission, besetzt mit 43 Personen, vom Präsidenten berufen, ihren Bericht zur „Befreiung des Wachstums“ vor (Wir werden darüber berichten. Einige Vorschläge sickern durch[2]). Französische Baustellen („Reformen“): Beschäftigung (35 Stunden pro Woche, Luxusurlaub, Jugendarbeitslosigkeit); Sozialstaat (Rente, Pension, insbesondere bei staatsnahen Organisationen wie Eisenbahnen, Energie), Immigration (schluckt mehr und mehr Geld, macht mehr und mehr Ärger: Aufstände und Wohnrechte in den Vorstädten), Wirtschaft (Schwachwachstum, stagnierende Kaufkraft, Innovationsarmut), Gesundheit. Es wird interessant sein zu lesen, was Attali zur Befreiung der Universitäten sagt (unverzichtbar, um in einer unternehmerischen Wissensgesellschaft nicht noch weiter an Boden zu verlieren), oder zur Finanzierung der Renten und Pensionen, deren durch Abgaben nicht gedeckter Anteil im Jahr 2050 rund 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen könnte (unter realistischen Annahmen)[3] oder zur Problemlage französischer Unternehmer, die gerade noch rechtzeitig für Attalis Schlußredaktion in einem Bericht aufgearbeitet ist.[4] Dennoch, für die „politische Klasse“ (Standardbeschreibung des politischen Systems in Frankreich) ein „virtuous circle“, wie Keynes für die Konjunkturpolitik behauptet: Löcher aufreißen bringt Stimmen, Löcher zuschütten bringt wieder Stimmen. Die Ressourcen für die Baustellenökonomie kommen von den Bürgern (Steuern, Staatsverschuldung).

Beispiel für eine Baustelle und für uns als Innovations- und Evolutionslogiker von besonderem Interesse. Josette Elayi hat den Mut, ihren Arbeitsgeber den Lesern des Figaro zum Neujahrsbeginn als „einen Kadaver“ vorzustellen.[5] Sie geht mit einer der Toporganisationen der französischen Forschung, CNRS (Centre national de la recherche scientifique), hart ins Gericht, untermauernd, was oben skizziert wurde. Im Jahre 1939 gegründet, arbeiten in der französischen Forschungsorganisation 31700 Menschen, davon 25 000 „Funktionäre“ (Beamte). Die Organisation ist gewerkschaftlich durchorganisiert und scheint in jeder Hinsicht ein Denkmal von Ineffizienz und Unwirksamkeit. Jeder „Forscher“ dient seinen Partikularinteressen, eine Überprüfung und Kritik der Leistungen findet, so Frau Elayi, nicht statt, wir vermuten auch, wofür die links-wirtschaftsfeindliche Einstellung der Mitarbeiter spricht (das gleiche Bild an Universitäten und Schulen): Umsetzung der Forschungsleistungen in die Wirtschaft, insbesondere durch Ausgründungen, marginal. Gazellen sind in Frankreich – wie auf dem afrikanischen Kontinent – eine vom Aussterben bedrohte Tierart: „Gazellen“ (David Birch) sind innovative, junge, schnell wachsende Unternehmen, verantwortlich für einen Großteil der netto neu geschaffenen Arbeitsplätze.

Ein Prozent der französischen KMU gelten als Gazellen.[6] In den USA ist der Anteil der Gazellen drei Prozent. Und in China? Fünf bis sechs Prozent Von den französischen Neugründungen (Jahr 2006) sind 40 Prozent Kinder der Not und nicht chancenorientiert. Vier von fünf Neugründungen haben keinen zusätzlichen Arbeitsplatz geschaffen. Weniger als fünf Prozent sind in einem „secteur innovant“ tätig.[7]

Kein Wunder, daß Franzosen mit Wehmut „Outre Rhin“ (Jenseits des Rheins) blicken, wo sie feststellen: auch die Allemands haben Probleme mit Gazellen, aber sie schaffen es, die Löhne so wenig wachsen zu lassen, Kaufkraftstagnation zu akzeptieren, daß sie mit dieser Strategie, dank sei dem Sachverständigenrat, ihre Exportweltmeisterschaft verteidigen können. Aber mehr Geld auf dem Konto jedes Franzosen, ist der große Versprecher von Nikolas Sarkozy. Mit den Staatsbeamten fängt es. Zumindest erhalten sie einen Kaufkraftverlustausgleich, bedingt durch die Inflation.[8] Als Nichtfreund der Europäischen Zentralbank steht ihm auch die Merkeloption nicht zur Verfügung, den inflationsbedingten Kaufkraft/Vermögensverlust (Angela Merkel: „perfideste Form der Enteignung“ [9]) von der Regierung an die EZB auszulagern. Ein Vorschlag wäre, mit einer Revision der Schulbücher anzufangen.[10] Entrepreneur ist dort ein Fremdwort, und George W. Bush hat Recht: die Franzosen haben kein Wort (im Schulbuch) für „entrepreneur“. Auch die Deutschen nicht, „chère Angela“ (Sarkozy) in ihren Schulbüchern – Gott sei Dank eine Angelegenheit der Länder.


[1]
Hakahori verfolgt für uns die französische Innovationsdynamik. Er ist noch in seiner Heimat. Daher unsere Kommentierung.
[2]
Le rapport de la commission Attali sera centré autour de vingt mesures phares, Les Echos, 7. Januar 2008.
[3]
Jaques Delpla, De l’application du principe de precaution à la réforme des retraites, Les Echos, 3. Januar 2008, S. 11.
[4]
François Hurel, Rapport à Monsieur Hervi Novelli … en faveur d’une meilleure reconnaissance du travail independent, 10. Januar 2008.
[5]
Quel avenir pour le CNRS? Le Figaro, 1. Januar 2008, S. 11.
[6]
Peggy Hollinger: France sets free its ‘gazelles’, The Financial Times, 19. Oktober 2006, S. 11. Wie Hollinger des weiter berichtet, bleiben die Gefängnisse, in die Gazellen eingesperrt sind, so gut bewacht, daß sie es vorziehen, nicht auszubrechen. Siehe Hollinger, Growth pains inhibit French business, The Financial Times, 7. Dezember 2007, S. 6.
[7]
Sarah Piovezan, La création d’entreprise, une stratégie pour sortir du chômage, Le Monde, Economie, 18. Dezember 2007, S. VII.
[8]
Lucie Robequain, Fonctionnaires: les syndicats hostiles à la garantie individuelle de salaire, Les Echos, 18. Dezember 2007, s. 4.
[9]
Inflation vermiest Einzelhandel das Geschäft, Spiegel Online, 28. November 2007.
[10]
Stefan Theil, Europe’s school books demonise enterprise, The Financial Times, 7. Januar 2008 .

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